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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1843 bis 1871: Die Reaktion der fünfziger Jahre.

Wenn es im Süden vor allem der Pietismns war, so erhobanderswo der mit ihm verbündete KonfessionaliSmus aufs kühnstesein Haupt nnd gebärdete sich mit aller Unduldsamkeit einer sieg-reichen Hierarchieknabenhaft, roh uud geistlos", wie Bansen sagt.Von Vilmar in Knrhessen war schon die Rede. Ihn: reihte sichin Mecklenburg aufs würdigste Kliefoth an, dessen bekanntestesOpfer der Nostocker Theologe Michael Baumgnrten war. Obgleichselbst ein strenger Lutheraner, wurde er dennoch seines Amtes ent-setzt, weil er den hierarchischen Gelüsten Kliefoths entgegentrat; alser an die Öffentlichkeit appellierte, mußte er dafür sogar im Ge-fängnis büßen. Weniger brutal als in Mecklenburg und Kur-hessen, denen sich als Dritter im Bnnde Hannover anschloß, Versuhrdie kirchliche Reaktion in Preußen . Aber auch hier stellten sich dochbesonders jüngere Geistliche in großer Zahl aus die Seite derreaktionären Partei, des Absolutismus und Feudalismus und ver-unglimpften auch auf kirchlichem Gebiet jedes Verlangen nach Frei-heit als Revolution und Anarchie. Und begünstigt und provoziertwurde das alles von oben, vom preußischen Oberkirchenrat, dererfüllt war vom Geiste Heugstenbergs und Stahls. Namentlich imOsten der Monarchie gefährdete dieser lutherauische Konfcssionalis-mus die Union, die sich auch durch den König allerlei Ab-schwächuugen gefallen lassen mußte. Den Mittelpunkt aller dieserBestrebungen aber bildeten mehr und mehr die Kirchentage, aufdenen die Parole dieser rückläufigen Bewegung ausgegeben uud derFeldzugsplan für eiu gemeinsames Vorgehen in den verschiedenenLändern entworfen wnrde. Da sich aber auf ihueu neben denLutheranern auch Reformierte und Vertreter der Brüdergemeindezusammenfanden, so nahmen die starren Lutheraner selbst andieser loseuKonföderation" Austoß uud zogeu sich allmählich vonihueu zurück. Damit verloren sie zuerst an Bedeutung, bis sieschließlich zu tagen aufhörten.

Gerade weun man diese Zeiten ins Auge faßt und sich er-innert, wie damals die evangelische Kirche im Dienste der Reaktionsich gegen alles kehrte, was Politisch und kirchlich liberal war, sowird man sich weniger darüber wandern, daß erst die Liberalennnd dann späterhin die Socialdemokraten sich so ganz von ihr