376
1848 bis 1871: Die Begründung des deutschen Reiches.
wenig erquicklich. Viel angefochten und geschmäht waren besonderedie Kleindentschen, die gerade in der Hauptfrage den Grvßdeutschengegenüber auch entschieden im Nachteil waren, vor allem da, wo essich um das klingende Wort und die tönende Phrase handelte.„Das ganze Deutschland soll es sein"! war die einleuchtende For-derung dieser letzteren. Und doch war eS nur eine Phrase. Der Ver-such, mit zwei Großmächten zngleich znr Einheit zu gelangeu uud sodie deutsche Frage zu lösen, hatte sich seit 1815 nnd ganz besondersdentlich in den Jahreu 1849—51 als Quadratur des Zirkels er-wiesen. Trotz Herz nnd Gemüt, die sich zur Trennung nicht ent-schließen mochten, der kühl rechnende Verstand mußte die Unmöglich-keit einer solchen Lösuug einsehen, die Logik war ans Seiten der Klein-deutschen. Der Fürstentag in Frankfurt, den Kaiser Franz Josef vonOsterreich einberief, konnte mit dein Problem auch nicht fertig werden.Man schien eben wieder von vorn anfangen zu müssen und seit1815 uud 1849 nichts gelernt zu haben. Noch übler war einanderes für die Kleindentschen. Nicht, daß sie mit der ZerkleinerungDeutschlands und der Ausschließung von zehn Millionen Deutschen beginnen mußten, das schlimmste war die von allen Seiten sichregende Abneigung, ein wirklicher Haß gegen Prenßen. Dieses hattesich zum Träger und Vorkämpfer der Reaktion in den fünfzigerJahren hergegeben, nachdem es sich kläglich schwach gezeigt uud dieSchmach vou Olmütz auf sich genommen hatte, und achtzehn Jahrelang hatte man sich gewöhnt, den Staat Friedrichs des Großen inFriedrich Wilhelm IV. verkö/pert zu sehen, d. h. in dem Mann,der alle Erwartungen getünscht und im entscheidenden AugenblickDeutschland im Stich gelassen hatte. Den Prinzregenten oder seitJanuar 1861 deu ueuen König Wilhelm I. kannte man draußennicht oder beurteilte ihn falsch: als „Kartätschenprinz" war er vonden standrechtlichen Erschießungen in Baden her sogar vielfach selbstverhaßt. Dem guten Eindruck seiues Programms vom 8. November1858 hatte die feierliche Krönung zu Kvuigsberg am 18. Oktober1861 erheblichen Abbruch gethan: daß er dabei die Krone vomAltar nahm nnd sich selber aufsetzte und damit das Gottesgnadeu-tum nachdrücklich markierte, erschien wie ein Nücksall in dieRomantik seines Brnders, von der ihn doch seine nüchterne, im acht-