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Kulturkampsgesetzgebung zum Bruch und Konflikt mit den grollendenund nltprenßisch gebliebenen Konservativen kam. Unter den Dekla-ranten der „Kreuzzeitung ", ja selbst unter den Hintermännern der„Reichsglocke" und der ganzen skandalösen Preß-Kampagne gegen„die Aera Delbrück-Camphansen-Bleichröder" sanden sich seudale nndkonservative Namen. Was man vielfach gefürchtet hatte, nach demsiegreichen Kriege komme die Reaktion, das hat sich in den siebzigerJahren nicht bewahrheitet; im Gegenteil, es war eine liberale Ära, diefreilich mehr vom Willen Bismarcks abhing und nicht auf der kon-stitutionellen Doktrin lind dem parlamentarischen System beruhte.Vom „englischen Persassungs- und Verwaltungsrecht", wie es Gueistsoeben verstehen gelehrt hatte, kam doch auch ewiges in die Gesetz-gebung des Reiches und Preußens, wenn auch der Jurist demPolitiker häufiger Konzessionen machte als dieser dem Juristen.Über der Arbeit vergaß man Theorie nnd System und bei derArbeit fand man sich, lernte man sich verstehen nnd gab sich anchhin lind her nach. An Arbeit fehlte es freilich nicht. Denn diesesneue Reich war wie der Kaisertitel zunächst noch scheinbar leer undunausgefullt und mußte uun erst mit Inhalt nnd Leben erfülltwerden. Nnd es war auch eiu recht künstlicher Ban, der zu keinerstaatsrechtlichen Schablone Passen wollte und in der Abgrenzungder Gewalten unendliche Schwierigkeiten in sich zn bergen schien:das Problein, Einheit nnd Vielheit, Bestehendes nnd Neues in sichzu vereinigen, schien schier unlösbar; den Unitariern war der Einheitviel zn wenig, den Partikularisten ihrer schon zu viel. Aber siehe da!Die leeren Formen füllten sich rasch, der norddeutsche Buud hattedariu schon kräftig vorgearbeitet: und beim guteu Willen von allenSeiten, der namentlich auch den deutschem Fürsten nachzurühmenist, lichtete sich das Chaos erfreulich schnell, die Abgrenzung machtesich leicht und wo sie zu eug gezogen war, da wuchs nach einemglücklichen Ausdruck vou Marks „die Wirklichkeit über die unsichereuGreuzeu sröhlich hinaus."
Aber daß es eine ungleiche Ehe war, dieses Verhältnis zwischenBismarck uud der uatiounlliberaleu Partei, war unverkennbar.Größe drückt und überwältigt, wie schon gesagt, und so verdunkelteBismarcks riesige Gestalt immer wieder das Parlament uud drohte