Das Unfehlbarkeitsdogina,
in Sachsen lebte der partiknlaristische Preußenhaß vielfach fort undfand an der brüsken Schneidigkeit so vieler Norddeutschen nndganz besonders an der schnodderigen Art des sich leicht und gerneüberhebenden und alles besser wissenden Berliuertums reichlicheNahrnng; das oft gehörte Wort „das verstehen die Süddeutschennicht" hat das sich Verstehen hin und her unnötig erschwert. Aber imGrunde ging doch das Einleben iu die neuen Verhältnisse und dassich Gewöhnen an die Zusammengehörigkeit rascher, als man ersterwartet hatte, und die Gegensätze hörten bald genug ans trennendezu sein. Der Partikularismus war schnell keine Gefahr mehr fürdas deutsche Reich, noch einmal sei hier auch des Verdienstes der deut-schen Fürsten um diesen BerschmelzungSprozeß gedacht. Das „lieberfranzösisch als preußisch!" ließ nach 1870 nicht einmal mehr „dasbayerische Vaterland" von Dr. Sigl hören, obwohl hier ein burleskvorgetragener Preußenhaß noch bis znr Stunde seine Abnehmer findet.
Das Unfehlbarkeitsdogma.
Dagegen ward im Augenblick der Entstehung des Reichesmitten hinein in das innere Leben unseres Volkes eine Frage ge-worfen, die es wirklich zu zerklüften drohte, die nns ein vollesJahrzehnt aufs leidenschaftlichste erregt uud beschäftigt hat und dieauch heute noch unser nationales nnd politisches Leben leidigbeeinflußt und beherrscht — die Frage, wie sich der deutsche Staatzu dem am 18. Jnli 1870 verkündigten Dogma der päpstliche»Unfehlbarkeit und seinen Folgen zu stellen habe.
Dieses Dogma war ja nicht eigentlich ein Neues. Nachdem imfünfzehnten Jahrhundert das Episkopalsystem in Konstanz und vorallem in Basel kurzdauernde Siege errungen hatte, war das Papst-tum im sechzehnten Jahrhundert aus der schweren Erschütterungdurch die Reformation neu erstarkt und gekräftigt hervorgegangen,so daß es schon auf dem Tridentiner Konzil die ausschlaggebendeMacht iu allen Entscheidungen gewesen und von den Jesuiten schon damals die Lehre vou der persönlichen Unfehlbarkeit desPapstes aufgestellt worden war; uud seither hatten es sich diesezur Ausgabe gemacht, den Primat des Papstes zu einem immerschrankenloseren zu erheben. Doch stellte selbst Möhler noch seine