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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
433
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Erfolge und Folgen des Sieges.

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gefühlt und weil er in der Art Bismarcks allzu realistisch mit Macht-mitteln um Macht gestritten uud uicht bedacht hat, daß ein Kultur-kampf vor allem mit geistigeu Potenzen, mit den Waffen desGeistes uud der Krast ausgesochteu werdeu muß uud uur durch siesiegreich beendet werden kann; wie umgekehrt die Kirche uur da-durch den Sieg davon getragen hat, daß durch den Kamps in ihrdie Macht der religiösen Idee entbunden und zur Hilfe aufgerufenwurde. Das wird auf protestantischer Seite meist allzusehr über-seheu. lind doch hatte schon 1855 Bnnsen mit Bezug ans den«badischen Kirchenstreit richtig erkannt, daßsobald sich ein religiös-kirchlicher Geist regt, die Negierung den Kürzeren zieht".

Allein wenn wir auch diese innere Kräftigung des Katholizis-mus als Folge des Kulturkampfes anerkennen, dürfen wir sie dochnicht in den Vordergrund rücken, sie uns nicht allzu intensiv inner-lich vorstellen. Jedenfalls überwiegt die Kehrseite. Niemals istder Katholizismus im ganzen politischer d. h. weniger religiös,niemals streitbarer d. h. dem Geiste des Christentums ferner ge-wesen als in den siebziger Jahren. Seine Bischöfe wurden Diplo-maten oder Heerführer, seine Pfarrer Fraktionspolitiker und seineKapläne Agitatoren und Journalisten, und selbst die Kauzeluwurden immer aufs neue zu Wahlreden und demagogischen Auf-reizungen mißbraucht; die sittlich religiöse Aufgabe der Kirche kamdarüber am meisten bei der Geistlichkeit selber und durch sie zukurz. Uud diese weltlich politische Auffassung ihres Berufes istbei den katholischen Geistlichen, der dumpfe Groll und das Miß-trauen gegen einen Staat, der seine Kirche Jahrelang verfolgt habensollte, ist in dem katholischen Volk hente noch nicht verschwunden;ein rechtes Herz zum deutschen Staat können sich viele noch immernicht fassen. Das hängt schließlich doch wieder zusammen mit dem.unseligen Vatikanum, das den Papst zum unumschränkten Herrnder Kirche uud diese damit zu einem internationalen Staat ge-macht hat, der durch alle nationalen Staaten hindnrchgreift undden deutschen Katholiken immer vor die konfliktvolle Wahl stellt,ob er dem Kaiser oder dem Papst jenseits der Berge zn ge-horchen habe.

Und auch der konfessionelle Gegensatz ist dnrch den Kultur-

Zieglcr, die geistigen u. socialen Strömungen des lg. Jahrh. 28