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Nach 1871: Der Kulturkampf.
Ritschlschen Theologie, ihrer Unklarheit und absichtlichen Unbestimmt-heit zusammen. Wenn z. B. Ritschl die Gottheit Christi sesthült undsie so begründet: „Eine Autorität, welche alle anderen Maßstäbeentweder ausschließt oder sich unterordnet, welche zugleich alles mensch-liche Vertrauen auf Gott in erschöpfender Weise regelt, hat den Wertder Gottheit", so ist das ein frevles Spiel mit Worten: ist nun Christuswirklich Gott oder ist er es nicht? Er ist es „für den Glauben",seine Gottheit ist „ein Wertbegriss", ihre Anerkennung „eiu Wert-urteil"; aber ob diesem Werturteil auch ein Seinsurteil entspricht,ob Christus nicht bloß für den Glaubenden den Wert eines Gotteshat, was ja auch Feuerbach und Strauß nicht bestreiteu, soudernob er Gott ist, das hütet man sich wohl zn beantworten: nnddoch heißt es mit Hegel : Hier ist die Rose, hier tanze! Dabeimußten mit Notwendigkeit die Anschauungen der Schüler auseinander-gehen, Kaftan ist ein anderer als Herrmann. Und an solchemSpielen mit Worten mußte man von links und noch mehr von rechtsher Anstoß nehmen und es als ein »Spiel mit doppelten Kartenentlarven; von einer solchen „Renaissance des reinen Luthertums"wollten die Konfessionellen nichts wissen. Was mehr dazu beigetragenhat, zene innere Selbstzcrsetzuug der Schule oder diese Augrisfe vonaußen, Thatsache ist, daß es zwar noch Ritschlinner, aber heutebereits keine Ritschlsche Schule mehr giebt; auch „die christlicheWelt", als Parteiorgan der Schnle gegründet, ist heute über diesenengen Nahmen hinausgewachsen, nicht zum wenigstem auch durch dieenergisch sociale Wendung, die sie genommen hat. Aber auch sür dieseWendung ist ein anderer der Führer geworden. Ritschl selber hatdurch seine Jnbilänmsrede zur Feier des 150 jährigen Bestehensder Uuiversitüt Göttingen, in der er den Liberalismus uud die Social-demokratie in übler theologischer Geschichtsklitterung mit dem Ultra-montanismns zusammen als Frucht der mittelalterlichen Welt-anschannng hinstellte, jene Wendung verleugnet nnd die socialenTheologen von seinen Rockschößen abgeschüttelt, damit aber auchdie letzte Karte aus der Hand gegeben, die ihn das Spiel ge-winnen lassen nnd es seiner Schule ermöglicht hätte, auch theo-logisch eine Wirkung ans weitere Kreise auszuüben.
Dagegen haben die heftigen Angriffe, die von orthodoxer Seite
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