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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: Socialismus und Socialdemokratie.

nun doch, daß die Lassallescheu nationalen Ideen bei der Social-demokratie nicht so ganz ansgcstorben sind, wie es dem Wortlautdes Programms nach scheint, zeigt sich jedenfalls, daß innerhalbder Partei anch hierüber manche realistischer und praktischer denkenals die alteu Führer und die doktrinären Programme. Der Haupt-vertreter dieser Praktischeren Richtung ist der bayerische Herr vonVollmar, dessen Streit mit Bebel nur durch die Vorlage des Umsturz-gesetzes im Jahre 1895 so rasch verstummt ist und der auch inStuttgart wieder recht vernünftig nnd gemäßigt gesprochen hat.Die nach heftigen Debatten erfolgte Entscheidung zu Gunsten einerwenigstens fakultativen Beteiligung der Partei an den Wahlenznm Preußischen Landtag für 1898 beweift ebenfalls das Wachsendieser Strömung wie der Widerstand dagegen das Vorhandenseinder beiden Richtungen und ihr Ringen um die Vorherrschaft.So scheint mir der Gedanke, daß das socialistische Ideal sichin der ganzen Welt sicherer und leichter verwirklichen lasse alsin den einzelnen Staaten uud Völkergruppen und der Wunschuach Beseitigung aller nationalen Differenzierung bei der Social-demokratie selbst im Schwinden zu sein. In diesem Sinn hatEduard Bernstein in dem vornehmsten Organ der Partei, derNeuen Zeit", erklärt, daß auch die Zukunstsgesellschaft sich stetsgruppenweise gliedern uud verwalten müsse; Gesellschaft sei einuferloser Begriff; auch uach dem Sieg des Socialismus seieu Gesetze,Beamte uud große Territorialgeiueinschaften unentbehrlich: warum dasuicht die Nationen sein könnten? ein volles Aufgehen derselben in-einander sei weder zu erwarten noch also auch nur zu wünschen;Verträge und Ausbildung des internationalen Rechts genügen fürabsehbare Zeit. Uud gegen den anch hierin fanatisch borniertenLiebknecht sagte ein anderer der Jüngeren, Schönlank, geradezuaggressiv: Liebknecht lobe mit Vorliebe das Ausland und setzeDeutschland , die Heimat der wichtigsten Arbeiterpartei, herab; unddoch vergebe man sich nichts, wenn man als Glied einer großenStaats-, Volks- nnd Wirtschaftseinheit, wie sie aus dem National-staat hcrvorwachse, auch ihre driugenden uationaleu Kulturaufgabenauf dem Gebiet der Politik und der socialen Reform mit Thatkraftdurchführen helfe. Angesichts dessen ist die Hoffnung auf die Um-

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