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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Der Kathedersocialismus.

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heute die einzelner Manchesterleute und entspricht den Wünschenund Ansichten aller satten, mit dem Bestehenden zufriedenen Bourgeois.Treitschke selber betrachtete sich freilich demmatteu Endämonismus"der Kathedersocialisten gegenüber als den Vertreter der deutscheuGesittung uud des deutschen Idealismus. Aber in Wirklichkeitsprach doch damals schon aus ihm der Reaktionär, der er von daan immer mehr geworden ist. Wenn etwas von Zukunft in dieserseiner Schrift zn finden war, so ist es die Borwegnahme gewisserGedanken Nietzsches. Einstweilen aber vertrat ihm gegenüberSchmoller in seinem offenen Sendschreibenüber einige Grundfragendes Rechtes und der Volkswirtschaft" mit Glück und Geschick denStandpunkt, dem zunächst die Zukunft gehören sollte, d. h. densocialreformatorischen. Mit Recht und nicht ohne ironischen Bei-geschmack konnte er daher fünfzehn Jahre später mit Beziehung aufdiese Fehde sagen:ich glaube in jener Zeit besser in die Zukunftgesehen zu haben als mein verehrter Kollege, der mich damals ebendarnm vom Standpunkt der angeblich bedrohten höheren geistigenund ästhetischen Kultur aus als thörichten Socialisten abkanzelte".

Und auch thatsächlich hat der Kathedersocialismus insoferngesiegt, als er, der vor sünfundzwanzig Jahren Mühe hatte sichdurchzusetzen, heute die deutsche Nationalökonomie ist und mit ganzvereinzelten Ausnahmen alle Lehrstühlc für Volkswirtschaft vonseinen Jüngern besetzt sind, wobei es natürlich an verschiedenenNuancen und allerlei Gegensätzen auch bei ihm nicht fehlt. Sogleich iu Berlin , wo neben Schmoller ein so eigenartiger Kollegewie Adolf Wagner steht. Diese fast unumschränkte Beherrschungder Katheder durch deu Staatssocialismus galt so sehr als anerkauut,das; Schmoller in seiner Rektoratsrede von 1397 dieses Wirklichezugleich auch als das Vernünftige feiern zu dürfen glaubte:Wederstrikte Smithianer noch strikte Marxiancr können heute Anspruchdarauf machen, sür vollwertig gehalten zu werden; wer nicht aufdem Bodeu der heutigen (!) Forschung, der heutigen (!) gelehrtenBildung uud Methode steht, ist kein brauchbarer Lehrer". Dochdas hieß den Bogeu zu straff spanuen. Nicht nur im Interesse derakademischen Lehrfreiheit wurde von den verschiedensten Standpunktenaus dagegen Einspräche erhoben, sondern auch die Nemesis folgte