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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Der Umschwung der öffentlichen Meinung.

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in der Stellung der bürgerlichen Parteien zur socialen Frage nndin dem Verhältnis der öffentlichen Meinung der Gebildeten zumSocialismus und seineu Forderungen. In den siebziger Jahrenwar die Stimmung der Bewegung im wesentlichen ungünstig, dochwurde sie von den meisten unterschützt, das zeigte sich auch darin,daß die Gründe, mit denen man z. B. in öffentlichen Versamm-lungen ihren Rednern gegenübertrat, oft so gar sadenscheinig undkindlich waren, das Grnseln mit demTeilen" war ein beliebtesMittelchen und entfesselte immer anfs nene das Hohngelächter derSocialdemokraten. Man gab sich nicht die Mühe, die Gegner zuverstehen und verstand sie auch wirklich nicht, die socialistischenRedner waren ihreu Gegnern bei weitem überlegen. Etwas spätertrat dann an die Stelle der Gleichgültigkeit die Erbitterung überdie Störenfriede der nationalen und optimistischen Stimmung uuddie Angst vor dem beständigen Anwachsen dieserReichsfeinde", zudenen ja die Klerikalen damals ohnedies auch gezählt wurden; dieAttentate auf Kaiser Wilhelm I. , die ihuen direkt oder doch derdurch sie hervorgerufenen Verhetzung und Verwilderung in die Schuhegeschoben wurden, vermehrten beides, Schrecken und Haß. Und nuukam das Socialistengesetz, damit war der Höhepunkt der ihnen ab-geneigten Stimmung erreicht, es bedeutet aber zugleich wie im Dramadie Peripetie. Und zwar trug es dazu selbst am meisten bei:es schuf Märtyrer, und damit stellte sich das Mitleid ein; man sahso viele vor Gericht, verurteilt, ausgewiesen, m der Verbannung,im Elend, und mau mußte sich sageu, daß sie für ihre Sache, fürein Ideal leiden und verfolgt werden, und man hörte ihre KlagenUnd Anklagen und mußte ihuen Recht gebeu, daß hierbei, auch vonden Richtern, vielfach über das Notwendige hinansgegangen werdeund die Polizei teilweise zu recht unmoralischen Mitteln greife;man brauchte ja uicht alles zu glaubeu, aber daß es »Aents xrovo-oateurs, Spitzel und Denunzianten gab, das war doch wohl wahruud war recht unmoralisch uud häßlich; besser als diese Organeder Ordnung und der Autorität waren ihre Opfer jedenfalls. Undman mußte wahruehmeu, wie die Zahl der socialdemokratischenWähler auch unter dem Druck des Gesetzes zunahm, also war das-selbe wirkungslos, es half nichts, das Gift fraß im stillen weiter