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Nach 1871: ZocialismuS und Socialdemokratie.
und war hier weit gefährlicher, vom Ausland her ertönten dieStimmen nur um so greller und wilder; indem man die Socialistenexpatriierte, hatten sie ja daS Recht und konnten gar nicht andersals international sein. Und so war man doch in weiten Kreisen sroh,es war wie eine Gewissensberuhigung, als zu den negativen Re-pressivmaßregel u die positiven socialen Reformen zunächst einmaldurch die kaiserliche Botschaft augekündigt wurden nnd dann derReihe nach kamen. Und dabei erkannte man nun doch, wievielwirklich zn resormieren war, wie recht also der Socialismus mitseinen Klagen über die Zustände uud seiuen Anschuldigungen gegenMenschen nnd Verhältnisse hatte, ein „berechtigter Kern" schältesich thatsächlich heraus, ein wirkliches Verdienst hatte diese Bewegungalso doch. Und in der Arbeit an diesen Gesetzen und in den Debattendarüber lernte mau deu Socialismus nun auch besser keimen, auch dieDiskussion zwischen den socialistischen Rednern nnd ihren Gegnernwurde in den achtziger Jahren sachlicher und gerechter: hierbei hatsich Schäffles schon genannte handliche Broschüre ein großes Verdiensterworben. Auch der Verein für Socialpolitik und seine alljährlich wie-derkehrenden Verhandlungen, die Kathedersocialisten und ihr Einflußauf die Studenten in ihren Vorlesungen uud Seminarien und aufweitere Kreise durch ihre Schriften nnd Aufsätze trugen dazu nichtwenig bei: der Staatssocialismus machte Schule, nnd als ihnBismarck in die Praxis einführte, da fanden sich anch unter denBeamten Männer, die alsbald mit Verständnis, mit Eiser nnd gutemWilleu ans seine socialreformatorischen Gedanken eingingen nnd die-selben — teilweise vielleicht sogar über seine eigenen Intentionenhinaus — verwirklichen halfen und forderten.
Liberalismus uud Socialismus.
Uud hier lag auch der tiefste Grund, warum es Z879 mitder liberalen Hälfte der Bismarckschen Ära zu Eude war. DerLiberalismus versagte sich dieser staatssocialistischen Wendung amlängsten, weil er iudividualistisch und kapitalistisch, nicht socialistischwar. Das Mittelalter bedeutet auf der ganzen Linie des mensch-lichen Lebens Gebundenheit — Gebundenheit des Einzelnen an dieKirche, des Vasallen an seinen Lehnsherrn, des Leibeigenen an den