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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: Socialismus und Zvcialdemokratie.

recht zu erhalten gesucht hatte, und weiter mit dem starken Betonender liberalen Forderungen und der scharfen Kritik am Staat undseinen Organe», worin beide Teile zusammengehen konnten; auchim Hau gegen Bismarck trafen sie sich. Hier wird auch die vonden anderen Parteien meist verneinend beantwortete Frage, ob dieSocialdemokratie als eine Partei wie jede andere anerkannt undbehandelt werden solle, also bllndnissähig sei, in der Theoriewenigstens entschieden bejaht, wie ich glaube, durchaus mit Recht,weil sie sich nur so dem Staatsgauzen einfügen, zur Arbeit anGemeinde- und Staatsverwaltung mit herangezogen werden unddadurch den Übergang zur radikalen Reformpartei vollziehen kann.

Socialdemokratie und Kirche.

Endlich das Centrum. Doch ehe wir dessen Stellung zuder socialistischen Bewegung darlegen können, ist vorher ein Wortüber die Stellung der Socialdemokratie zur Religion zn sagen.Religion ist Privatsache", so tautet kurz und bündig hierüber dasProgramm der Partei; thatsächlich aber nimmt sie eine ganzandere, entschieden negierende Haltung ein, sie ist unkirchlich undirreligiös, ist atheistisch und materialistisch. Wie das gekommen ist,habe ich früher schon angedeutet. Thron und Altar haben sichwährend der Reaktionszeit eng verbündet, die revolutionäre Oppo-sition gegen den monarchischen Staat traf daher ebenso uuch dieKirche. Und im Kamps gegen das anoisii re^ime schien wie beiden Encyklopädisten des achtzehnten Jahrhunderts die radikalsteWeltanschaunng die beste Waffe zu sein, das war wie damals sojetzt wieder der Materialismus. Dieser hat überdies in seinerOberflächlichkeit etwas Leichtverständliches, den Massen besondersZugängliches uud hat als natnrwissenschastliche Anschauungsweiseetwas Modernes an sich, was namentlich der Halbbildung immerimponiert. Auch ist er wirklich besonders geeignet sür Handarbeiter:sie haben es mit der Materie zu thun, ihre Gesetze nnd die Über-windung der ihnen von ihr kommenden Hemmungen und Hinder-nisse interessieren sie am meisten, uud darauf giebt der Materialis-mus die nächste beste Antwort. So wurden die Arbeiter materialistischund atheistisch. Dabei wirkte endlich auch das Mißtrauen mit