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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: ^in sik-ols«.

zeigte sich der Unwille des Volkes über den jüdischen Besitz, derdnrch das geschicktere, sparsamere und nüchternere Wesen der Judenden Vorsprung gewann, bei vielen aber allerdings auch auf skrupel-loserer und vor Wucher nicht zurückschreckender Geschüftsgcbarungberuhte. Es hing das mit der Art zusammen, wie man, d. h. wiedie Christen jahrhundertelang die Juden auf den Handel eingeschränktund sie gezwungen hatten, den Verfolgungen und Aussauguugeugegenüber List zu brauchen und wie in einem Kriegsznstand jedesMittel für erlaubt anzusehen; die Rute des jüdische» Wuchers habensich die Christen selbst gebunden. So traten da schon zwei Motiveder antisemitischen Bewegung, das religiöse und das wirtschaftliche,deutlich zu Tag, während das nationale selbst bei der Burscheuschaftmit ihrenteutschen" Tendenzen noch fast ganz ausgeschlossen blieb.

Die Romantik war antisemitisch geworden; im Mittelaltcrhatte man die Juden ja auch verfolgt. Um so selbstverständlicher,daß das junge Deutschland jndenfreundlich dachte, wenn wir auchdavou absehen, daß Borne und Heine Juden waren; daS jnngeDeutschtand im allgemeinen aber nm ihretwillen als eine jüdische odervon Juden geleitete und mit jüdischem Geist erfüllte Gesellschaftund litterarische Koterie anzusehen, ist schon früher als falschzurückgewiesen worden. Das Philosemitische in ihm hängt mit seinemLiberalismus, seinem Eintreten für alles zusammen, was Eman-zipation heißt. Wer noch die Franksurter Judengasse gesehen hatund die gesetzlichen Beschränkungen des Judentums auf allen Ge-bieten des staatlichen und städtischen Lebens kennt, die dnrch dieWiener Kongreßakte noch in letzter Stunde bestätigt oder doch nichtbeseitigt wurden, wird in diesem Kampf um und für ihre Befreiungnur ein durchaus Berechtigtes, auch eine Episode in dem allgemeinenKamps um den Einzelnen anerkennen müssen. Der HamburgerRiesser ist als einer der energischsten Führer hier besonders zuueuuen. In den vierziger Jahren war aber für diese Bestrebungenwenig zu hoffen, solange in Friedrich Wilhelm IV. die Romantikauf dem Thron saß und ganz unkönigliche Schimpfwvrte desselben,zumal seit er durch Johann Jacoby persönlich gereizt war, vonseiner Abneigung gcgeu die Judeu offen Zeugnis ablegten. Alleindas Jahr 1848 brachte ihnen doch, was sie wünschten, die volle