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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Der Antisemitismus,

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einen Platz im Herzen ihres Volkes sichern können. Gestatte» wiedie des Großherzogs Friedrich von Baden oder deS Königs Albertvon Sachsen und Tage wie die Festfeier ihres siebzigsten Geburts-tags beweisen das. Aus der anderen Seite haben wir freilich aucheiue starke republikanische Partei, die aber doch bis ties hinein indie Reihen der Socialdemokratie dies zunächst uur ganz Platonischist. Und so ist das kein Gegensatz, der die Geister und Gemüterbewegt und spaltet.

Der Antisemitismus.

Ganz anders zerklüstet wenigstens in einzelneu Gegendenunseres Vaterlandes die antisemitische Bewegung das Volk. DerAntisemitismus gehört fraglos zu den bedeutsamsten, aber um esgleich zu sageu, auch zu den unerfreulichsten Erscheinungen nndStimmungselementen ön cls sieeis. Abneigungen nnd Antipathiengegen die Judeu hat es zu allen Zeiten gegeben, das mag jederEinzelne mit sich ausmachen, und auch das ist jedem zu überlassen,wie er sich persönlich und gesellschaftlich zu ihnen stellen will.Von Antisemitismus reden wir erst da, wo ganze Richtungen oderParteien gegeu sie Stellung uehmen, sie von sich ausschließen undaus ihrer Antipathie ein Prinzip, aus dem Subjektiven einPrograminatisches und objektiv Geltendes machen. Anch ansolchen Formen und Kundgebungen hat es das ganze Jahrhunderthindurch uicht gefehlt. Am Anfang stehen sreilich Schleiermachers Freundschaft mit Henriette Herz und Fr. Schlegels Beziehungen zuDorothea Veit uud damit eine Verbindung gerade der gebildetstenMänner aus dem romantischen Kreis mit jener jüdischen BerlinerGesellschast, die den Bemühungen von Moses Mendelssohn ihreErfüllung mit deutscher Kultur uud Bildung verdankte und vorallem für Goethe schwärmte. Allein je mehr die Romantik christlichund kirchlich wurde, desto mehr wurde sie antisemitisch. Namentlichzeigte sich das in der deutschen Burschenschaft mit ihren christlich-germanischen Anschauungen uud Lebensformen, und fo konnte wieheute wieder, so damals schon die Frage aufgeworfen werden, obJuden iu die Burschenschaft Ausnahme finden können. In gelegent-lichen Ausbrüchen des Mob iu verschiedenen ^deutschen Städten