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Nach 1871: äs sieels°.
den Rittergutsbesitzern Porteile zu verschaffen ist keine Gerechtigkeit,und alles unter den Gesichtspunkt von Teilinteressen stellen wollenheißt den Staat als Ganzes ansheben. Merkwürdigerweise begabensich anch die Natioualliberalcu, deren Stärke und Wählerkreiseganz wo anders liegen, vielfach in Abhängigkeit von dieser agrarischenBewegnng. Bei den Reichstagswahlen von 1898 erwies sich jedochdiese Rechnung sür sie zum mindesten nicht gewinnbringend: uudüberhaupt habeu diese Wahlen den Buud der Landwirte weit ein-flußloser erscheinen lassen, als man nach seinem lauten Wesen eS sichvorgestellt hatte; nur in Bayern that er dem Centrum erheblichenAbbruch.
In dem Agrariertum steckt uicht bloß um der demagogi-schen Form nullen, sondern auch sachlich ein soeialistischer Kern,der Antrag Kanitz beweist das; und unschwer ist zu erkennen,daß dadurch vielfach nur die bäuerlichen Schichten aufgewühltwerden, um dann später, wenn sie einsehen, daß nicht für sie,sondern wesentlich nur für den ostelbischen Großgrundbesitz gesorgtwird, in das Lager der Socialdemokratie überzugehen. Deuu dasist das Charakteristische sür die letzten beiden Jahrzehnte des Jahr-hunderts, daß sozusagen alle Wege zum Socialismus führen, nnterdessen Zeichen wir stehen oder bis vor kurzem noch ausschließlichgestaudeu haben. Das wissen wir schon nnd werden es nament-lich bei der Besprechung der litterarischen Bewegung noch einmaldeutlich sehen. Selbst ein Reichskanzler und preußischer Minister-präsident konnte konstatieren, daß er jede Gesetzesvorlage aus ihreWirkung auf die Socialdemokratie, d. h. also auf ihren social-politischen Charakter hin ansehe. Das erfreulichste darau war,daß jeder sich social bethätigen wollte, wenn dabei auch allerleiDilettantismus mit unterlief; das schlimmste war, daß man dasWort „social" vielfach vergeblich im Munde führte und allerleiübles Scheinwesen damit trieb. Die eigentliche Gefahr lag aber tiefer.
Die Frauenfrage.
Doch ehe wir dazu übergehen, haben wir von einer Seite dersocialen Frage zu reden, die, immer schon latent, jetzt erst zurvollen Entfaltung kommt, man kann sie, die selbst wieder weit-