40 1800-1810.
Vaterland so nachdrücklich betonte, erhob Goethe mit seinem Buch„Winckelmann nnd sein Jahrhundert" nochmals für das ästhetischeIdeal des antiken Menschen die Stimme. Während die Kanonenvon Jena um ihn donnerten, ein Jahr vor Fichtes Reden an diedeutsche Nation, brachte „der Philosoph des Jahrhunderts", G. W.Fr. Hegel (1770—1831), seine „Phänomenologie des Geistes " indie Druckerei, ruhig und unbeirrt wie in den Tagen der von allerPolitik entfernten Spekulation Kants . Das Jahr 1806 machtvielleicht einen Abschnitt; aber man wird nicht glauben, daß Napo-leon das achtzehnte Jahrhundert ganz und gar habe füsilierenkönnen. Immer noch dauerten ältere Bestrebungen fort neben denneuen, die wir im Besitz Deutschlands um 1800 fanden.
Im ganzen bleibt doch eine starke und rasche Entwickelungfür dies Jahrzehnt unverkennbar. Es giebt wenig neuere littera-rische Bestrebungen, die nicht mit denen von 1800 — 1810 zu-sammenhingen. Die Kunstlehre der Klassiker ist eigentlich erst inunseren Tagen erneuert worden; bis dahin hatte mindestens dieÄsthetik der ausübenden Künstler, fast überall aber danebenauch die der Theoretiker, eiuen starken Zusatz vom Geist derRomantik.
Großes hat dies Jahrzehnt erstrebt und Vieles erreicht. Ganzneue Stoffe und Klangwellen bringen die Romantiker an die Weltheran: die Spanier, die altdeutsche Poesie. Jean Paul, Novalis ,Hölderlin lehren der Sprache ganz neue Reize abgewinnen. Bedeu-tungsvoll tritt der vermehrte Einfluß der Frau hervor: wie die Haupt-werke dieses Zeitraums fast alle weibliche Hauptfiguren haben —die Jungfrau von Orleans, die Braut von Messina, Penthesilea ,Pandora, Käthchen von Heilbronn, Dolores —, so nehmen auchKaroline, Rahel, Bettina eine Stellung ein wie keine Frau imvorigen Jahrhundert innerhalb unserer Litteratur; in Frankreich freilich war Frau von Stasl (1766—1817) vorangegangen.
Trotz so vielen bedeutungsvollen Zügen bleibt das Wichtigstedoch immer der Versuch, die Kluft zwischen der Litteratur der Ge-bildeten und der des Volks zu überbrücken. Den Charakter echteroder gesuchter Volkstümlichkeit trägt vieles in diesem Jahrzehnt;dauernd volkstümlich blieben dennoch von größeren Werken sast nnrDichtungen der Ältesten: der „Faust ", der „Cid", der „Tell" undSchillers andere klassische Dramen, daneben Hebel und Zschokke undallenfalls das „Käthchen von Heilbronn". Aber wie wenige Jahr-