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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Ferdinand Raimund ,

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stürzen die Paläste ein oder erheben sich. Das ist altes Märchen-recht; und wie es längst auf der Wiener Bühne Sitte war, nutztRaimund es zu effektvollen Überraschungen aus: die Wunder werdendurch die Kunst der Maschinerie Wirklichkeit für den Beschauer.

Daß es aber in der idealen Welt auch nicht viel besser her-geht als bei uns, ist auch alte Tradition; schon die Scherzlegen-den des Mittelalters bringen den Thürschlüssel und den Schuster-schemel, Eifersucht und Ärger in den Himmel. So versteht auchRaimund das Reich der Feen, Geister und Genien aufs liebens-würdigste zn verwieuern. Was ihm aber vor allem das Herzseines Publikums gewann, war, daß man schließlich den Eindruckhat: im Grunde leben wir immer noch in der besten aller Welten.So gut wie im Geisterreich hat man es auf Erden noch alle Tage;und je weniger einem die Geuien schenken, desto glücklicher ist man.Hier kommt wieder jene Lehre, daß aller Glanz Unglück sei.Der Millionärbauer, der Verschwender sind in der armen Hütteglücklicher als im prächtigen Palast; und selbst die verwahrlosteFamilie imAlpenkönig" übergoldet ein Glanz, der den reichenMenschenfeind beschämt.

Allmühlich freilich dringt die Melancholie des Dichters auchin seine Werke; aber ein sanfter Humor hält sie iu Schranken.Seine Stimmung macht sich dann in jenen rührend schlichten LiedernLuft, die wie die Gedichte in Eichendorffs Novellen uur die melodischeuObertöne zum Text der Handlung sind: das Aschenlied, ValentinsHobellied,Brüderlein fein",So leb denn wohl, dn stilles Haus".Nicht mit Unrecht hat man deshalb Raimund Österreichs größtenVolksdichter genannt. Er gab dein Volk nur wieder, was er vonihm empsangen hatte.

Ist Raimund vom Scheitel bis zur Sohle ein Sohn dervolkstümlichen Dichtung, so hat kein Dichter in unserem Jahrhundertsich dieser schroffer und unversöhnlicher entgegengestellt als Grill-parzer. Nicht zu seinem Heil.

Franz Grillparzer ist am 15. Januar 1791 zu Wien ge-boren, der Sohn eines ursprünglich wohlhabenden, aber verarmtenAdvokaten. Seine Mutter, an der er mit Zärtlichkeit hing, scheintsich in einem Wahnsinnsanfall das Leben genommen zu habeu;ein Bruder stand dem Wahnsinn einmal nahe. Grillparzer selbst wareine durchaus leidenschaftliche Natur, bis in feine innersten Tiesenaufgeregt, voller Ehrgeiz, voll heftiger Sinnlichkeit, zu wildem