Signatur der Zeit. 9Z
Miene zum bösen Spiel. Dies Vorliebnehmen, diese Zufriedenheitmit dem, was doch nicht genügen konnte, prägt dem allgemeinenLeben der Zeit den Stempel auf. Es ist die „Biedermannszeit",es ist die Periode des furchtsamen Humors und der trivialen Em-pfindsamkeit. Über die beiden Welten der Wahrheit und Dichtung,die man eben noch hatte zusammenbiegen wollen, wird nun säuber-lich doppelte Buchhaltung geführt. Der Philister, der sich begeistert,wo es der gute Ton fordert, wird zum Typus der Zeit, und Heinebildet ihn zu der unsterblichen Karikatur des Gumpelino (in den„Bädern von Lucca") um. Die Tracht der Zeit ist charakteristisch:wie die Frauen ungeschickte, unmalerische Kleider tragen, darüberaber, sobald sie ausgehen, romantisch drapierte Shawls werfen undans die seltsamsten Lockengebäude den Turban mit der Straußen-feder setzen oder sonst ein wunderliches Gebände von Riesenhut. DieMänuer gehen wenigstens, wenn sie auf sich halten, auf der Straßeso gewiß in Frack und Cylinder, wie sie zu Hause im Schlafrocksitzen: hier äußerste Lässigkeit, dort stramme Pose. Selbst bedeutendeMäuner wie A. W. Schlegel machen diese Metamorphose täglichdurch, wie sie D. Fr. Strauß an ihm ergötzlich geschildert hat.
Überall herrscht dies Nebeneinander von platter Bequemlichkeitund überflüssiger Feierlichkeit. Der berüchtigte Strickstrumpf fliegtin den Händen der Mütter und Töchter hin und her, während siemit verzückten Gesichtern die „himmlische", „göttliche" Musik des„Freischütz" oder Mendelssohns Kompositionen anhören; denn Kon-zerte zu besuchen, wird jetzt Mode. Man sitzt in bescheidenstenNänmen bei Talg- und Ollicht; aber vor jeder Gesellschaft stellenRäucherkerzchen eine feierliche Atmosphäre her. Man lebt in seinemStädtchen so abgeschlossen, daß (noch 1847!) man in Kassel denTod des in Frankfurt am Main gestorbenen Kurfürsten erst nach24 Stunden erfährt? aber wenn eine verwitwete Oberstin stirbt,so teilt man den „vielen auswärtigen Verwandten, Freunden undBekannten" in einer pomphaften Todesanzeige die eigenen Gefühlemit: „Die beruhigende Hoffnung, daß ihr sanfter Geist ans jenenSternenhöhen noch liebevoll auf uns hcrniederblickt, bis der Tod anchuns das unerforschliche Rätsel des Schicksals einst verklärt haben wird,steht in unserer Betrübnis und Trauer uns allein noch tröstendzur Seite." Man schnupfte Tabak und las Jean Paul und E. Th.A. Hoffmann; man schrieb die steifsten Komplimenticrbriefe und be-geisterte sich für Heines Reisebilder.