Der Kampf gegen Goethe.
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die verbreitete Verweichlichung Wittertc, fuhr er wutschäumend überden Übelthäter her. 18S7 erschien sein von geistreichen Bildernund schiefen Urteilen überfülltes Buch „Die deutsche Litteratur":ein kecker Versuch, Tieck statt Goethes zum Leitstern der deutschenSchriftsteller und Leser zu machen. Gleich folgte dann (1828)Tieck selbst mit der großen Vorrede zu seiner Ausgabe von Lenz'Schriften, dem ersten großartigen Versuch einer deutschen Littera-turgeschchte seit „Dichtung und Wahrheit "; denn Menzel giebtBeschreibung und Polemik, nicht Geschichte. Tieck erklärt nunfreilich Goethe hier für den wahrhaft deutschen Dichter schlechtweg;aber er hat dabei doch recht viel „zu mäkeln uud zu wählen"und spielt den juugen Wolfgang gegen den Minister von Goethe,den Dichter gegen den Menschen aus. Das bleibt etwa derStandpunkt seines Schülers Jmmcrmann: bei theoretischer Be-wunderung für Goethe praktisch überall ein Mäkeln, Beanstanden,Besserwissen.
Karl Jmmermann (1796—1840) läßt im „Münchhausen"selbst „den bekannten Schriftsteller Jmmermann" auftreten:
Es war ein breitschulteriger, untersetzter Mann, der seinen Wanderstockbei jedem Schritte mit Energie auf die Erde stieß. Er besaß eine großeNase, eine markierte Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakterals Talent anzeigten, und einen feingespaltenen Mnnd, um deu sich ironischeFalten wie jnnge spielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch nicht zuden giftigen gehörten . . . Nicht allein in dein Antlitze dieses ManneS,sondern überhaupt in seinem ganzen Wesen war eine eigene Mischung vonStarke, selbst Schroffheit, mit Weichheit, die hin und wieder in das Weich-liche überging, sichtbar.
Diese Mischung läßt sich leicht psychologisch erklären. Jmmer-mann war ein Sohn des altpreußischen Beamtentums, uud mitdiesem ersten Benmtenstand der Welt teilte er das seste Pflicht-gefühl, die unbedingte Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit — unddas Bedürfnis der Subordination. Aber ganz natürlich erwuchsin dem kraftvollen Jüngling eine durch persönliche Erlebuisse ge-steigerte Verstimmuug gerade gegen die Art dieser Kreise, denen erdurch Abstammnng nnd eigenen Berns — er war Richter — an-gehörte; und so kam er völlig ins Fahrwasser der Romantik. Vonihr hat er das überstarke Selbstgefühl des Künstlers, die Gering-schätzung des wirklichen Lebens, die Verachtung der Konventionen,die ihn nach einem Jahrzehnte dauernden Liebesverhältnis mitElise v. Ahleseldt, der (später geschiedenen) Gattin des berühmten