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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Karl Jmmermann.

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doch mit imponierender Kraft angepackt: der Kampf zwischen dernen aufkommenden Maschinen-Industrie und denalten Ständen",vor allem dem Adel. Sein anmutiges komisches HeldengedichtTulifäntchen" (1830) hatte dies Motiv schon scherzhaft angefaßt,derMünchhansen" nahm es wieder auf, und bei jedem Schritthat Jmmermann seinen Wanderstock mit weitwirkender Energie aufdie Erde gestoßen. Freilich verdirbt er die Einheitlichkeit des Zeit-bildes in denEpigonen" durch zu viel litterarische Satire gegenA. W.Schlegel und dasBerlinertum", durch zu häufigen politischenSpott auf Demagogen und Diplomaten. In derartiger Satire,zumal litterarischer, schien seineGeschichte in Arabesken", derMünchhansen", ganz aufgehen zu sollen. Jmmermann sah alsGrundfehler seiner Zeit eine innere Unwahrheit an, ein dilettan-tisches Spielen mit ererbten oder erborgten Rollen. Wie sehrer recht hatte, zeigt Ernst Schulzes typische Gestalt. Aberfreilich ging er zu weit, wenn er nun ringsum nurEpigonen"sehen wollte er hat das Wort in diesem Sinne geprägt,nur die kleinen Söhne, die in den großen Stiefeln und Hüten derVäter als lächerliche Gernegroße umherpoltern. Und das warseine Rettung, daß er die Übertreibung erkannte. Münchhansen, deralte Lügeumeister Bürgers, sollte ein gleichsam mythologischer Heroswerden, der Vertreter all der Lügenhaftigkeit der Zeit; und umihn gruppieren sich die Standeslüge des heruntergekommenen Aristo-kraten, die Empsindsamkeitslüge der alten Jungfer Emmerentia, dieBildungslüge des Schulmeisters, der ein alter Grieche zu sein ver-meint, und iu zahllosen Vertretern die litterarische Lüge oder wasJmmermann dafür hielt: falscher Prunk der Rede bei Humboldt,falsche Geistreichigkeit bei Bettina, Raupachs Theaterkniffe, JnstinnsKerners Geisterseherei. Aber Jmmermann selbst ertrug auf dieDauer den Aufenthalt in dieser Atmosphäre nicht. Gewaltige ernsteinnere Kämpfe hatten ihn gereinigt. Ihr erhabenes Denkmal istderMerlin" (1832) unter allen Versuchen, einenFaust "uach Goethe zu schreiben, der großartigste; ein gewaltiges KaMpf-spiel von dem Krieg zwischen Gott uud Satan, zwischenWelt"und Ideal, zwischen Reinheit und Schicksal. Und darauf war seinbedeutendstes historisches Drama gefolgt, derAlexis" (1832), indem der Dichter den romantischen Sohn der entschlossenen Staats-weisheit des Vaters opfert, aber anch diesen selbst, Peter denGroßen, an seinem Werk verzweifeln läßt, weil er Menschenwerk