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1820—1830.
an Stelle der natürlichen Entwickelung des Volkes gesetzt hat.Als politischer Prophet hat sich freilich Jmmermann (wie auchsonst) hierin nicht bewährt. Aber die Hochachtung vor dem ein-fachen Volk war etwas Neues bei ihm, der sonst trotz aller roman-tischen Verehrung sür Volkspoesie und Volksweisheit im Leben wiein der Poesie nur den Höchstkultivierten nachgegangen war. Undnun brach im „Müuchhauseu" diese nenentdeckte Quelle der Poesiedurch. Als Gegcnbild gegeu all die Lüge und all das Masken-spiel der Gebildeten erwuchs der „Oberhos" — nicht die erstedeutsche Dorfgeschichte, aber das erste realistische Landschaftsbildgroßen Stils iu Deutschland . Eine Gestalt wie der Hofschulzewar noch nicht gezeichnet worden — fo rund und voll mit derGröße und den Schwächen altererbter Art und alterworbeuenAnsehns. Das eigenartige Volksleben Westfalens treibt diesen„Patriarchen" hervor wie die Urwälder Sealsfields ihre Riesen-bäume. Es sind nicht in der Art älterer Provinzialnovcllen Bräucheund Redensarten dekorativ angehängt (wie etwa die „authentischen"Plakate und Redensarten in den Romanen der Goncourt), svuderualles hängt organisch zusammen wie bei Willibald Alexis . DieselbeZähigkeit, die der Hofschulze im Handel mit dem Roßtäuscher zeigt,hat dem geächteten Spielmann — einer prachtvollen Gestalt! —das Schicksal bereitet; 'das Hochzcitssest zeigt das gleiche Haftenan alter Art wie das Vehmgericht. Was thut es da, daß diesFest seinen Ursprung der Hochzeit des Camacho im „Don Quixote "verdankt? Jmmermaun, der ein starker Leser war und bei demnur zu oft die Lektüre statt innerer oder äußerer Erfahrung Stoffund Form hergeben mnßte, hat hier congenial nachgeahmt. Dasdeutsche Volk ist trotz Julian Schmidts Parole Gott sei Tanknicht nur „bei der Arbeit" zn finden: es hat auch noch Feste, eshat uoch Gelegenheiten, bei denen sich ein frohes Gemeingefühlentfalten kann. Und bei einem solchen Moment das ehrenfesteLandvolk des protestantischen Westfalens zn überraschen, war eingenialer Einfall.
Jmmermann hat sich große Verdienste anch um die Hebungdes Theaters erworben. In Düsseldorf , wo er seit 1827 auge-stellt war, fand sich ein seltener Kreis kunstverständiger Männerzusammen: die Maler Schadow, Bendemann und andere; der DichterUchtritz; der Kunsthistoriker Schnaase; eine Zeitlang Felix Men-delssohn . Jmmermann wnßte das Interesse dieses auserwählten