Georg Büchners Realismus.
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Verbindimg von Realismus und Ekel am Leben haben in unserenTagen vor allem Huysmans und Maupassant über ihre Werkegebreitet.
Büchners Historiendrama „Dantons Tod " (1835) geht ausdiesen Voraussetzungen solgerecht hervor. Grabbe nahm noch dasGenie aus der Reihe der alltäglichen Erscheinungen aus; Büchner streicht auch diese Ausnahme: „Ich sühlte mich vernichtet unter demgräßlichen Fanatismus der Geschichte. Ich finde in der Menschen-natur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eineunabwendbare Gewalt, allen und keinem verliehen. Der Einzelnenur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herr-schaft des Genies ein Pnppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen einehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen un-möglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eck-stehern der Geschichte mich zu bücken." Und in diesem Sinne schreibtnun der Revolutionär sein Nevolntionsdrama. Er lebte bereitsals Flüchtling in der Fremde, in Straßburg , wo er eifrig studierte;bald darauf ist er in Zürich gestorben. Er hielt fest an seinenpolitischen Idealen, er begehrte nach wie vor eine Heiluug derkranken Menschheit, als deren Hauptplagen er Machthaber und Be-amtenschaft ansah; aber in dem Anstürmen vereinzelter „Heroen" saher nur „eiu Puppenspiel". Deshalb wird „Dantons Tod " fastzu einer heroischen Tragikomödie. Mit der gesuchten Geistreichig-keit der Konventsmänner, die ohne ein Bonmot ans der Zungeweder köpfen noch sich köpfen lassen konnten, würde die wildeScenenreihe noch „echter" wirken, litte nicht schon Büchner an derKrankheit so vieler neuerer Realisten: an dem Mißbrauch „echterDokumente". Ausdrücke, Redeu, die für Danton oder St. Instbelegt sind, müssen verwendet werden, und gerade sie wirken oftwie aufgesetzte fremde Zuthäte», weil die übrigen Worte der Figurenvon Büchner ftamnien und nicht von ihnen selbst.
Die Ergänzung zu „Dantons Tod " bildet das Fragment„Wozzeck ". Dem heroischen Trauerspiel steht das bürgerliche gegen-über. Ein ganz beliebiger Mensch ans dem Volke, arm, schwach,verachtet, ist der Held. Er wird eben deshalb zur symbolischen Ge-stalt; er ist das Volk selbst und seiu Schicksal das des Volkes inden Händen seiner Machthaber. Für den Doktor ist er nur einExperimentierobjekt; der dicke Hauptmann, der weinen muß, sobalder an seine eigene Güte denkt, hält ihm Moralpredigten; inneren