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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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183V1840.

Anteil, Verständnis haben dieGebildeten" nicht für ihn. SeineGeliebte, ein trotziges, sinnliches Wesen, läßt sich von der anima-lischen Prachterscheinung des Tambonrmajors verführen; der Ver-führer höhnt noch den armen Betrogenen. Die Charaktere ausdem Volk und der Hauvtmann sind glänzend gezeichnet; der Doktorist ein Zerrbild, voll Selbstironie des experimentierenden Natur-und Menschensorschers. Mit Meisterschaft ist wieder die Zerrüttungim Gehirn Wozzecks geschildert, wie der Mordgcdanke in ihm Wurzelfaßt, wie er widersteht und unterliegt; und das fröhliche Spielendes als Waise hinterlassenen Kindes bildet den grellen Schluß-accord. WieDantons Tod" ist dies Bruchstück mit wildenCynismen übersäet, aus denen die Verzweiflung des am Lebenhaftenden Realisten über die Unsauberkeit des Lebens herausklingtwie aus HeinesNächtlicher Fahrt". Der groteske Humor derHandwerksburschenpredigt weist dem tiefernsten Satiriker einen Platzin der berühmten Reihe hessischer Humoristen, Merck, Lichtenberg,Niebergall, Karl Vogt an; schade, daß er sich durch eiu Preisaus-schreiben verleiten ließ, auch noch in einem romantischen LustspielLeonce und Lena" die Wortwitze und gesuchten Versteckspiele desPouce de Leon" und ähnlicher Produktionen nachzuahmen.

Eine andere Natur als bei diesem verzweifelnden Menschen-freund und Patrioten, eine andere Natur auch als bei Grabbe mitseiner Sucht zu imponieren hat der Cynismus Johann Nestroys (18021862), mit dem wir zu den Altersgenossen Grabbes zurück-lenken. Sein Cynismus entspringt weder der Notwehr noch demÜbermut, sondern eiusach augeboreuer Gemeinheit. Man darf diesWort nicht scheuen, wenn man den Antipoden Raimunds charakte-risieren will. Wie Raimund ist Nestroy aus dem Wiener Possen-theater hervorgegangen und hat sich als Schauspieler zuerst auchin ernsten Rollen versucht. Die Posse hat er heruntergebracht wiedas Schauspielertum; jedes höhere Element hat er so höhnisch ab-gewiesen, wie Raimund es aufsuchte.Er konnte mit einem bloßengequetscht nasalen ,Ab/ im Zusammenhang eines Gesprächs, wo vonweiblicher Unschuld die Rede war, eiu ganzes Schmutzfaß entladen,"erzählt Fr. Th. Vischer aus eigener Anschauung.Damals sagteHebbel von ihm: ,Wenn der an einer Rose nur gerochen hat, sostinkt sie'. Die Zuhörer waren hochbeglückt." Mit diabolischemSpürsinn gabelte er überall das Niedrige, das Animalische, dasOrdinäre aus. Wie nach der Volkssage der Teufel nichts schaffen,