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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Nestroy und Bauernfeld.

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aber alles nachmachen kann, so war Nestroy zum Parodisten ge-schaffen. Seine berühmtesten Leistungen gehören hierher. Es liegtin all seiner Parodie eine gewisse cynische Ehrlichkeit, ja eine ArtNaivität der Blasiertheit. Er hält im Grunde alle Poesie undallen Idealismus wirklich für Schwindel und glaubt nur an diekörperlichsten Genüsse. Es war weniger Witz als blutige Wahr-heit, weun er sagte:Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste,selbst von mir, und ich habe mich noch selten getäuscht". Deshalbmißlingen ihm auch die edeln Männer und guten Weiber so kläg-lich; gutmütige Mädchen (wie die Netti imKampl") stehen nichtso ganz außerhalb seiner Fähigkeit. Er war selbst bei allem Cynis-mus nicht ohne Gutmütigkeit, besonders ein freigebiger Helfer; erlebte wie ein rechter Philister, war im Gespräch scheu und schüchternnnd ließ sich von der Schauspielerin, mit der er (wie Raimund)in wilder Ehe zusammenlebte, ganz in« Stil der Zeit tyrannisieren.Nestroy ist ungemein witzig; wie aus einen: unerschöpflichen Füll-horn quellen die Improvisationen überraschend und blendend hervor.Aber er vermag weder eine Handlung konsequent auszubaueu woihm nicht die parodierte Fabel das ermöglicht, noch wirklicheGestalten zu zeichnen; die paar bequemen Typen des liederlichenVagabunden, desdummen Kerls von Wien ", des bösen Haus-herrn und des koketten alten Weibes sind kanm mehr als dieHaubenstöcke, auf die er seine Witze hängt.

Eduard von Bauernfeld (18021890) ist der letzte Ver-treter desvormürzlichen Wienertums". Hat man Nestroy daszweifelhafte Kompliment gemacht, er habe die Altwiener zu modernenGroßstädtern erzogen, indem er sie von gutmütiger Behaglichkeitzu scharfer Kritik überführte, so ist Bauernfeld Beweis, daß schonin deinCapua" Grillparzers eine Neigung zum schneidenden Epi-gramm mit gemächlich-vergnüglicher Lebensauffassung sich ver-trug. Baueruseld hat zeitlebensraisonniert" (geraunzt", wieman in Wien sagt), und ist dabei zeitlebens vergnügt gewesen.Aus der Nomantik, der seine Jugenddichtungen worunterwieder einFortunat" angehören, hat er immer die Neigungbehalten, den allzu stacheligen Problemen des wirklichen Lebensaus dem Wege zu gehen und die schärfsten Gegensätze auf einenluftspielmäßigen Zusammeustoß zweier Weltanschauungen (Bür-gerlich und Romantisch" 1839) einzudämmen. Eine gewisse Lnst-spielauffassuug der Welt beherrscht ihu durchaus und erleichtert