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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18301840.

waltig Würgt, daß ihr das Blut aus Nase und Ohr hervorquillt. Indieser Personifikation liegt eine lebendige Parteinahme, die auch dieAllegorie lebendig macht und weit erhebt über die blassen Abstrak-tionen anderer Dichter. Oder wie er den Lenz verkörpert:

Da kommt der Lenz, der schöne Junge,Den Alles lieben muß,Herein mit einem FreudensprüngeUnd lächelt seinen Grnß,

Und schickt sich gleich nnt frohem NeckenZu all den Streichen an,Die er auch soust dem alten Recken,Dem Winter, angethan.

Das ist gefühlt und nicht bloß gedacht; aus solcher Anschauungblühten bei den Alten die Mythen von Bakchos, von Silen undden Kentauren hervor und die Bildwerke, die sie darstellten. Ebendeshalb weil diese Verkörperungen durchaus individuell sind, wechselnsie auch. Die Erde ist ein andermal für Lenau ein Zigeuner-weib, das immer nur wieder die alten Blätter aufgemengt und inneuer Ordnung auf den Tisch legt, blöd begafft von neugierigenLeuten. Er kann sie schelten, wie er sie preist, weil er sie liebt.Das ist das Innigste an Lenau : seine tiefe Liebe znr Natur. DieMenschheit steht ihm ferner.Die Betrachtung des Menschenlebensin seinen mannigfachen Erscheinungen ist mir der größte Reiz, nachdem Reize, den die Natur für mich hat. Sie bleibt doch meineliebste Freundin, und das Menschenleben ist ohnehin nur dasBild der Natur, wie es sich malt in den bewegten Wellen unsererTriebe."

So tief hat sich diese Seele also in das Leben der Natur ein-gefühlt und eingewühlt, daß es ihr verständlicher ist als dasMenschenleben. Es ist eigentlich falsch, zu sagen, er trage mensch-liche Empfindungen in die Natur hinein; es ist umgekehrt: er ver-steht das menschliche Leben nur aus der Analogie mit der Natur.Hat er ja auch in seinem eigenen Leben etwas von der Art deralten Naturdämonen: unberechenbar, bald die Menschen mit demKlang seiner Töne bezaubernd, bald mit grellem Gelächter sie inSchrecken jagend wie der große Pan, die Menschen fliehend unddann wieder von jedem sterblichen Weibe gefesselt. Er paßt nichtin diese geregelte, verständige Welt. Selbst Jnstinus Kerner, derbeste der Freunde, von dem der reizbare Lenau sagte:Er ist ganz

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