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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Lena».

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für den schönsten Mann seiner Zeit galt. Lenau war aber nichtsweniger als schön, er war in Auftreten und Haltung vielmehr nurso interessant". Wenn er vorlas, klang es der guteu Emma Nien-dorf, als läse der Genius selbst. Uns scheint hier wieder deridealisierende Geniekultus des Publikums mitzuspielen; ebenso wennwir seine äußere Erscheinung beschreiben hören:

Eher klein als groß, aber stämmig; um die Schultern breit; von vor-trefflicher Luuge uud Brust, mit sehuigen Armen nnd Beinen! dazu vollMut uud Verwegenheit und stets gewaltiger Herr deS Worts wäre erein vortrefflicher Husarenoberst gewesen. Sein sehr großer Schädel zeigtdie Hilfsmittel des Dichters iu höchster Ausbildung; das Haupthaar aufdem gedankenvollen Scheitel (!) etwas dünn, Backen- nnd Schnurrbartdunkelbraun; die Stiru besonders breit, über der kräftigen, sanftgeschwungenenNase gern sich stark faltend, die Brauen, wie bei Bieldenkern, oft sich zusannnenziehend, die Backenknochen, wie bei Slaven , etwas hervorragend: dieunaufgcworsencn schmalen Lippen entschlossen geschlossen: das Kinn wieabgehackt; endlich in den branncn Angen zwei unergründliche Bruunenvoll Geist, Tiefsinn und Schwermut . . . welch ein herrliches Gesicht! Handund Fuß aristokratisch seiu und klein; die Haltung ein gemächliches Sich-gehenlasscn; meist gebeugt sitzend oder bequem liegend; auf gebogenen Knieensich schwingender Gang; in Kleidung gewählt uud zierlich fast, stets reinbehandschuht . ..

Seit Goethe ist kein Poet so genau beobachtet und beschriebenworden!

Nicolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenan ist(13. Aug. 1802) zu Czatad unweit Temesvar in Ungarn als Sohneines deutsch-slavonischen Vaters und einer deutsch -ungarischcu Muttergeboren. Slavisch ist in ihm vorzugsweise die musikalische Begabuug,die im virtuosen Guitarren- und Geigenspiel, im vortrefflichenPfeifen und Tanzen so gut wie in dem süßen weichen Klang seinerVerse hervortritt; ungarisch ist die Freude an wilder Bewegung, andaherstürmenden Rossen und Rhythmen, und wieder dann dieträumerische Indolenz, die sich in die schlafende Heide zum Ruheneinbettet. Beiden Völkern aber ist gemein, daß sie dem mytholo-gischen Zeitalter noch näher stehen, daß ihnen die Elementargeisterin Busch und Rohr, in Wald und Wasser noch lebende Dämonensind. Damit hängt wohl auch Lenaus ungemeine Kraft der Natur-beseeluug zusammen, in der er selbst seine eigentümlichste Be-gabung sah. Die Natur wird ihm zu einerguten Frau", die derUngar bescheiden einlädt, daß sie kommen möge mit ihren köstlichenGaben, während der Deutsche sie an der Gurgel packt und so ge-