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1830—1840,
(„Lebenserinnerungen eines deutschen Malers" 1885 und „Jngend-erinnerungen eines alten Mannes" 1870); oder in einen stillenWaldwinkel voll Poesie des Jäger- und Berglebens, wie der fröh-liche bayerische Dialektdichter Franz von Kobell (1803—1832)und sein österreichischer Genosse I. G. Seidl (1804—1875), beideauch hochdeutsch dichtend; oder endlich in die Legenden der Ver-gangenheit, wie der liebenswürdige Rheindichter und Übersetzer KarlSimrock (1802—1876). Wer aber zarter, nervöser organisiertwar, den rief in der Gegenwart zu viel zum Mitleiden auf, alsdaß er dem Weltschmerz hätte entgehen könuen. Wer ein fühlendesHerz hat, ruft damals der Frauzose Claude Tillier (1801—44),der Verfasser des unvergleichlichen humoristisch-satirischen Idylls„Mein Onkel Benjamin", der geht durch das Gedränge der Menschenmit einer offenen Wunde, die jeder Begegnende von neuem bluten macht.
Lenau hat freilich selbst dafür gesorgt, daß die Wunde offen blieb;Schmerz empfinden war ja seine Virtuosität. Virtuose ist er durch uuddurch. Es ist keiu Zusall, daß er selbst mit Meisterschaft musizierteund noch den Einbruch seiner Geisteskrankheit durch Spielen aufseinem geliebten alten Guarnerius verhüten zu können glaubte;noch weniger, daß er auch die äußerlichen Gewohnheiten des Vir-tuosen teilte — war es doch die Zeit der Liszt-Anbetung! Sosorgte er für malerisches Aussehn: „Da saß er, bleich, im schwarzenRocke, auf dem Haupte eine Violettsammetmütze mit goldener Quaste,und las mit seiner klangvollen, tiefen Stimme, eintönig, wie derklagende Wind, oder wie Wellen, oder ein Geist — höchst melodisch".Ein kleiner Ruck der Mütze verändert nach seinem eigenen Geständnisseine Stimmung. Deshalb braucht er auch — wie Byrou — aufder Reise ein übermäßiges Gepäck, „eine Menge kleiner Kästen,Necessaires, Stöcke, Schirme; kurz, woran er gewöhnt war, dasmußte auch mit ans die Reise". Er ist selbst von den Kleinigkeitenabhängig; über den Schlafrock kann er in briefliche Klagen aus-brechen; eine schlechte Cigarre — denn die beginnen nun allge-mein die Pfeife abzulösen — verstimmt ihn fast wie ein Un-wohlsein. Aber diese Nervosität, die wirklich mit den intimstenVorzügen seiner Begabung zusammenhängt, imponiert gerade demfür die „schmückenden Kleinigkeiten des Lebens" noch ungebührlichharthäutigen Geschlecht. „Er ist noch eine von den schönenDichtergestalten, die selbst wie ein Gedicht dnrch das Leben gehen",ruft der jugendliche Moritz Hartmann aus, der selbst später