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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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DnS deutscheLustspiel".

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Possenhelden einen besonderen Gott giebt, konnte man den versöhn-lichen Schluß von einem platzenden Handschuh so gut wie voneinem Erbonkel aus Amerika erwarten. Litterarische Bedeutunghat dies alles nicht; ich sehe aber nicht ein, weshalb es nicht auchein dramatisches Kunstgewerbc für harmlose Abende nnd anspruchs-lose Gemüter geben soll. Ich wenigstens habe mich bei Mosers (einemenglischen Original nachgebildeten)Bibliothekar" herzlich amüsiertuud bei demRaub der Sabinerinueu" Franz von Schönthans(geb. 1849) erst recht. Seit ein in Moral und Technik sehr vielniedriger stehendes Lustspiel mit großen Prätentionen die Harm-losigkeit weggeworfen hat, die für jene ältere Richtung Existenz-bedingung war, haben wir über Benedix und seine Grnppe vielmilder urteilen gelernt. Sie gaben sich wenigstens wie sie waren,während sich Lindau , Lubliner, Blumenthal, noch in französischenProblemstil vermummen. Und das Muster der Augier, Sardou,Dumas , dem diese so eisrig nachliefen, bedeutet uicht einmal an sicheine höhere Lebenswahrheit. Die Welt des französischen Lustspielsist so gut wie die des deutschen eine konventionelle Zauberwelt; derUnterschied ist nur der, daß die Rollen bei Baucrnfeld und seinenNachfolgern von liebenswürdigen Dilettanten, bei den Dichtern desOdson-Theaters von gescheiten Schauspielern gespielt werden.

Die Österreicher treten immer in Gruppen ans: wie nebenZedlitz und Raimund Grillparzer, so steht neben Nestroy und Bauern-seld Lenau. Er ist das größte Talent dieses Zeitraums und nebenGrabbe die bezeichnendste Gestalt; er hat anch den nachhaltigstenEinfluß ausgeübt. DerWeltschmerz", den Nestroy in seinemZerrissenen" verspottet, den Grabbe in den Tiraden seinesGoth-land" unabsichtlich parodiert hatte, erhielt in Lenau seinen Klassiker.

Es lag in der Stimmung der Zeit, zu verzweifeln. Wer die Weltnicht mit Bauernfeld als ein Lustspiel oder mit Nestroy als einePosse anfzufasseu wußte, dem lag es damals nur zu nah, sie fürein Trauerspiel zu halten. Gewiß dauerten, wie immer, idyllischeNntnren fort, die auch unter dem Druck einer kläglichen Reaktion,nnter der furchtbaren Spannung idealistischer Anforderungen ineiner besonders realistischen Epoche, unter dem Znsammenbruch alterEvangelien und Programme noch eine ungestörte Heiterkeit bewahrenkonnten. Sie flüchteten sich dann ganz in eine stille Kunstwelt, wie dieMaler Ludwig Nichter uud Wilhelm v. Kügelgen die wir auchals vortreffliche Erzähler von Jugenderinnerungen zu rühmen haben