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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
197
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Heinrich und Charlotte Stieglitz . 197

Menschen jetzt. Das ist das Köstliche, das ist die jnnge Zeit,darin ist Lebensmut. Schließe dich der jungen Zeit an . . . Dannfindest du den rechten Stoff, in diesen Weltinteressen ... Dubrauchst gar nicht über Zeit und Freiheit viel zu sprecheu; deineganze Stimmung wird Freiheit atmen . . ." Sie spricht demMann, der an seinen Berufssorgen herumnagt undin be-quemer Verzweiflung" (ein Wort Mommsens) alle Hofsnungenaufgeben will, mit den herrlichen Worten zn:Ich nenne resignierennicht: sich zum Lump machen; nein, sich znm Herrn machen, sichzum Herrn darüber machen." Männlich tapfer erklärt sie:SichGlück schaffen, wer das nicht vermag, für den sind alle äußerenGlücksgüter vergebens." Es ist alles umsonst. Er weiß mit ihren?Geist und ihrem Herzblut nichts Besseres zu thun, als daß er ihreWorte fein säuberlich aufnotiert. Sie hofft und hofft immer wieder.Oft ist auch sie nah am Verzagen; aber wo er mit seinen Leidenkokettiert, befolgt sie ihren Spruch:Mit deinem Schmerz wie mitdeinem Gebet geh in dein Kämmerlein allda wird er geheiligt."Sie richtet sich immer wieder an großen Erscheinungen auf. Schließ-lich konnte sie ihren schönen Traum doch nicht mehr aufrecht er-halten. Körperliche Leiden kamen dazu: eine unglückliche KissingerKnr hatte sie krankhaft erregt. Seit Jahren trng sie sich mit derIdee, daß ein tiefer Schmerz ihren Gatten aus seiner Neurasthenielösen, ihn zu dichterischer Produktivität freimachen könnte. Es warein Gedanke, so recht aus dem Kultus des großen Moments er-wachsen und nicht frei von jener Vermischung der Wirklichkeit mitdem Leben der dramatischen Figuren, das uns früher so vielfachbegegnete; vor allein aber war es ein Gedanke der Liebe. ÄußereAnlässe gaben nun den letzten Anstoß; am 29. Dez. 1834 erdolchtesie sich, nachdem sie in einem erschütternden Brief dem VielgeliebtenLebewohl gesagt und noch mit rührender Überlegung für seine An-gelegenheiten Fürsorge getroffen hatte. Mit furchtbar sicherer Handtraf sie sich ins Herz.

Die That verfehlte ihr Ziel. Er stellte seinen Schmerz umdie Gattin vor aller Welt aus, wie früher seine Klagen übereigenes Elend; das war das Ergebnis. Und dennoch glauben wir,daß die Zeitgenossen in richtigem Gefühl handelten, wenn sie dieThat feierten; daß Männer wie Alexander von Humboldt undBöckh sich nicht ganz vergriffen, wenn sie dieAlceste " seierten,diefür ihren Gatten hinabstieg zum Hades". Und es schmerzt uns,