250 ' 1840—1850.
sammlung in den Schatten gestellt, die auch wirklich kleinlicher undaltmodischer diskutierte, aber doch auch Redner von Bedeutung zählte— vor allen, nach uuserm heutigen Urteil, auf der Seite der konser-vativen Minorität. Trocken, pedantisch, aber fesselnd dnrch denheiligen Ernst einer unerschütterlichen Überzeugung sprach auf derLinken Johann Jacoby (1805—1877) aus Königsberg: mit dem„Brustton der Überzeugung" und mit dem sicher blickenden tief-blauen Auge, der durchgearbeiteten Physiognomie, dem ehrwürdigenBackenbart wirkte Benedikt Franz Leo Waldeck (1802—1870)aus Münster , ein Volksmann im besten Sinne des Wortes, doch auchnicht ohne dessen Schwächen; knorrig, volkstümlich schroff redeteHermann Schulze-Delitzsch (1808—1883); geistreich, mit einerseltsamen Mischung von Nomantik und praktischem Sinn, LotharBuch er (1817—1892) aus Neustettin, der später einer unsererglänzendsten Journalisten und (1864—1890) zuletzt Bismarcks „rechteHand" wurde. Otto von Bismarck selbst sprach originell, scharf,aufreizend aber damals noch oft durch die gesuchte Eigenart gehin-dert, die der tiefgläubige, in Leben und Denken großartig folgerechte,eckig-originelle Adolf v. Thadden-Trieglaff (1796—1882) zuroffiziellen Sprache seiner Partei gemacht hatte: eine bizarre Mischungvon derb-volkstümlicheu Wendungen („ein Wähler auf 10000 PfundMenschenfleisch inklusive Menschenknochen") und Bibel- oder Klassiker-citaten, dunkle Anspielungen in der Art Hamanns, viel verhaltenerGroll und zu viel Ironie. Dagegen fiel dem Doktrinär 'der alt-kouservativen Partei, dem vom Judentum zum orthodoxen Luther-tum übergetretenen Friedrich Julius Stahl (1802—1861) ausMünchen , die Aufgabe zu, die Devisen in die Fahnenbänder zusticken, wirksame Schlagwörter: „Autorität, nicht Majorität"; „dieWissenschaft muß umkehren".
Nicht klein ist die Zahl geringerer Talente, die noch zuuennen wären, und in manchen Schattierungen schwankt ihre Elo-cjueuz. Allen aber ist jetzt das gemein, daß die mündliche Redeeine Wahrheit geworden ist. Man liest nicht mehr ab, man redetnicht mehr ein unsichtbares Publikum an, sondern unter dem Druckdes Moments wendet man sich an gerade diese Zuhörer und suchtsie zu gewinnen. Diese Mündlichkeit, die Befreiung vom Lesepultgehört zu den Kennzeichen der Zeit. Freiligraths Gedichte wurdendeklamiert, und deklamieren mnß man Herweghs Gedichte, nm ihreWirkung zu verstehen. Aber auch Fritz Reuter ist zum Borlesen