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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Das Jahr 1848. 251

mehr als zur stillen Lektüre geeignet, und für Hebbel, Otto Ludwig ,Richard Wagner ist die lebendige Bühnenwirksamkeit selbstverständ-liche Voraussetzung. Agitatoren sind sie alle; weit hinter ihnen liegendie schüchternen Anfänge werbender persönlicher Wirksamkeit ausder Zeit Alexander v. Humboldts.

Vergessen wir nicht, daß zu dieser Generation noch vieleAutoren gehören, deren litterarische Thätigkeit tiefer herabreichendeWurzeln besitzt und früher begann: Karl Gntzkow (geb. 1811),Fanny Lewald (geb. 1811), Georg Büchner (geb. 1813) und andere alles Naturen, die es drängte, die ersehnten Ideale leibhaftigvor sich zu sehen.

So beherrscht das Jahr 1848 mit höchster Energie diese ganzeEpoche. Vorher ist nichts als ein trauriges verdrießliches Interim.Man hatte in Preußen , bei aller persönlichen Sympathie mit Fried-rich Wilhelm III., ungeduldig die neue Zeit erwartet, die mit seinemSohn aufsteigen sollte; er kam und brachte nur schöne Worte undromantische Ideen und enttäuschte alle Welt. In Österreich unter-drückte das senile Polizeisystem mit dem ganzen Eigensinn eines krankenGreises jedegefährliche" Regung, und Metternich hatte selbst gegeneine Akademie der Wissenschaften Bedenken, weil sie von den Ge-lehrten erbeten war. Censur und Theaterpolizei überschlugen sichin Mißgriffen. In Bayern sogar ward man des Königs müde,dem das Land so viel verdankte und die Hauptstadt alles; begieriggriff man seine persönlichsten Liebesabenteuer auf, um daraus einepolitische Sache zu machen. Verdrossenheit überall und überklugesBesserwissen: oben am grünen Tisch und unten auf der Bierbaukdie gleiche weltfremde, in alten Gleisen daherfahrende Kannegießerei.Was Leben in sich spürte, mußte sich zur Agitation gedrängt fühlen.Ans der biedermännischen Anekdotenmalerei von Düsseldorf wnrdedas düstere Genie Alfred Rethels (18161859) in seine revolu-tionären Bahnen geworfen und zeichnete Revolutionsbilder undTotentänze. An das Volk wandte man sich mit liebender Begeiste-rung; und von hier kam das Heil. Nicht ganz so kam es, wieFreiligrath und Herwegh erwarteten; aber so, wie Reuter uudAucrbach, Hermann Kurz und Otto Ludwig es fühlten.

Dies also bleibt der revolutionären Zeit als dauerndes Ver-dienst: die Brücke wieder geschlagen zn haben zwischen Dichtungund Leben, den Sänger wieder in das Volk gestellt zn haben. Mannennt anch das Tendenzdichtung. Aber man vergleiche es mit der