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1840—18S0.
nach altenglischer Tradition übernommen hat. Namentlich die beiden„Reisebilder" („De Reis' nah Belligen" 1855 — „De Reis' nahKonstantinopel" 1868) sind stellenweise nur ein lose verknüpftes Netzscherzhafter Episoden. Aber zuerst in der „Franzosentid" (1860)erweiterte sich Reuters Darstellung zu einem Zeitbild. Noch immermachten sich komische Episoden für den ernsten Grundcharakter zubreit: während in dem prachtvollen Amtshanptmann Weber diepatriotische Wut, in zahlreichen Gestalten die Bedrängnis zumAusdruck kommt, durfte es nicht fo behaglich ausgemalt werden,wie einer die ganze Nacht im Bett in der Stube herumfährt, umnicht betropft zu werden. Sonst aber kündigt sich schon hier an,was Reuters eigentliche Große ausmacht: die kerngesunde Auffassungdes Volkes. Nichts mehr von der sentimentalen Verhimmelungder unverdorbenen Landleute, nichts mehr von der superklugen Be-lehrung der ungebildeten Bauern. Kräftig und stark ist dies Bolk,und es weiß zu lachen nnd zn weinen. Nicht aus einer gesuchtenMischung heraus, wie die Doktrin von der alleinseligmachenden Tragi-komik heut gern fordert, sondern aus gereifter Anschauung erwuchsihm die Erkenntnis, wie in diesem Volk das Tiefernste und dasLächerlichste ineinander übergeht, ohne jene Scheidung, die unsereGefühlspedanterie so leicht in den „höheren Ständen" znwege bringt.Auch bei einem Begräbnis das Komische herausfühlen, auch beieinem Jubelfest ernst werden — wir haben es fast verlernt, dasVolk nicht. Reuter fühlte es nach, und dadurch ward er der großeHumorist, ja trotz Jean Paul , trotz Heine, trotz Anzengruber nebenGottfried Keller der größte Meister deutschen Humors. Die„Festuugstid" (1863) brachte den ernsten Grundzug unter einerDecke rührend-komischer Abenteuer schon straffer zum Ausdruck.Sentimental wird er nirgends, wie Silvio Pellico in dem berühm-testen Werk der Gefängnispoesie, in „I^s rois xriZioni", es beständigist uud wie es auch Dickens in den tragischen Scenen seiner Schnld-hastschilderungen gern wird. Aber wenn bei dem englischen VorbildReuters diese düsteren Momente in tollem Tanz sich mit Burleskenablösen, umrankt bei Reuter der Humor nur wie Epheu die Stäbedes Kerkergitters, die uns immer gegenwärtig bleiben, schwarze Linienin den heitersten Himmel einzeichnend. — Einen weiteren Fortschrittbedeutete Reuters Hauptwerk, die „Stromtid " (1862—1864).Der Dichter trat hier zurück, ohne dem Roman doch ganz denautobiographischen Charakter zn nehmen; daß Fritz Triddelfitz,