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1840—1850.
an Natters oder Rovereto an und zeichnet individuelle Landschasts-bilder.
Wie es in solchen dichterischen Freimaurerlogen leicht geschieht,überschätzten sich die Mitglieder. Johaunes Schuler (1800—1856) galt als „Tirols Goethe ", weil seine mäßige epische Be-gabung sich in wohlgernndeter Form äußerte; der originellereJohann Senn (1792—1857) hieß ihnen „der Grabbe der Lyrik",weil seine äußere Erscheinung („um die felsige, bleiche Stirn flattertenwie die Schlangen der Medusa lauge schwarze Locken") und diewilde Glut seiuer politischen Sonette an den typischen Vertreterder „verkannten Genies" erinnerten. An dem verderblichen Genie-Wesen gingen vielleicht ebenso viel von diesen nachgeahmten Jung-deutscheu zu Grunde wie an der geisttötenden Tyrannei der Re-giernngsschablone. Selbst die Begabtesten in diesem Kreise, Gilmund Pichler , haben die jungdeutsche Formverwahrlosung nur seltenganz überwunden. Adolf Pichler (geb. 1819), der als ehr-würdiger Veteran noch heute für das Recht der Freiheit und dieUngebundenheit der Poesie streitet („Spätfrüchte" 1895), ein viel-seitiger, besonders als Geolog verdienter Gelehrter, hat nur ineinigen schönen, schlichten Verserzählnngen („Marksteine" 1874,„Neue Marksteine" 1890) jene Einheit von Inhalt und Form er-reicht, die geringeren Talenten mühelos glückte („Allerlei Geschichtenaus Tirol" 1867; „In Lieb' und Haß", Gedichte, 1869). Vorallein aber ist Hermann v. Gilm selbst eiue charakteristische Figur.Schon seine Erscheinung war die typische des „Poeten mit derglühenden Seele"; im Stil der Lenau-Porträts schildert ihn Pichler :„Hochgewachsen, nervig, schlank, mager, schwarzlockig, das Augedunkel und glühend; Stirn und Oberteil des Kopfes traten starkhervor, während das kleine Kinn stark zurückwich" — wir denkenan Grabbe! Aber statt in dessen Manier die „Zerrissenheit" auchäußerlich in Kleidung und Haltung zur Schau zu tragen, kostümiertsich Gilm so geschmacklos-modern wie möglich. „Es ist sechsUhr abends. Auf meinem Tische liegen sechzig Sonette, die gefeiltund abgeschrieben werden sollen, ein Paar lackierte Halbstiefel,die lieblich nach Patchouli riechen, und eine allerliebste Atlas-kante, weiß und rot." Das ist ganz Gilm: halb Dichter undhalb Daudy, wie sein verehrter Byron — als Dichter aber undals Dandy gleich sehr posierend, durstig nach Anerkennung. Ebensozwiespältig und ebenso ehrgeizig ist er in politischer Hinsicht. „Ist