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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Jung-Tirvl.

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man bei ihm", berichtet Pichler,so redet er wie Brutus, vor derThür ist er jedoch der k. u. k. Praktikant, der jeden Prinzen an-jubelt, der auf einer Spritztour seiner Kanzlei nahe kommt. Ichsagte ihm einmal trocken, daß ich sein Verhalten mißbillige; erzuckte mit den Achseln und erwiderte: Ich will feiue Cigarren rauchenund Glacehandschuhe tragen . . ."

Eine innere Verwandtschaft zog Gilm zu Heine, den er sehr oftkopiert und dem er die saloppe Wort- uud Versfüguug gern nach-macht, ohne seinegeheime Melodie" zu erreichen. Daneben hatFreiligrath stark auf ihn gewirkt; nur zu leicht verdirbt er deneinfachen Herzenston durch gesuchte Neimworte, geschmacklose Ver-gleiche, prosaische Flickworte. Unerträglich ist seine völlig im Stilder Mundt und Genossen gehaltene Novelle. Aber derselbe Mannhat jene Jesuitenlieder gesungen, deren mächtig agitatorische Wirknng,in ihrem Bezirk nur der von Herweghs Liedern vergleichbar, auf derangesammelten Kraft eines mächtigen Hasses beruht; und auch inunpolitischer Lyrik hat er einzelne Gedichte von ganz eigenem Reizverfaßt, wie jenesAllerseelen", das durch das ermüdendste Ab-leiern seiner Melodie nicht ganz zn verderben ist, oder jene kleineStrophe:

Über hundert lange Stunden,Über hundert frische WnndenUnterdessen kann der Wald,Kann die Wiese sich verfärben,Können alle Blninen sterbenIst das bald?

Umsonst hatJungtirol" nicht gewirkt. Das lange isolierteBergland ward dem Stromgebiet der deutschen Bildung wieder er-obert. Dafür zeugen liebenswürdige neuere Dichter aus der SchuleGilm und Pichlers, wie Anton v. Schullern (18321889),Hans v. Vintler (18371890: Gedichte 1892), Ludwig v.Hörmann (geb. 1837) und seine Gattin Angelika (geb. 1843).Das Land, das zur Zeit des Minnesangs viele und noch die letztenSänger aufwies, hat Jahrhunderte der Trennung vom frischenGeistesleben überwunden; nnd das haben wir Männern wie AdolfPichler vor allem zu danken!

Die gleiche heiße Liebe zur engeren Heimat, die Gilm undPichler zu liberalen Agitationsdichtern gemacht hat, schuf ausFriedrich Wilhelm Weber (1813 1894) einen strengkatholischenund ultramontanen Dichter. Aber bei ihm ist alles aus einem

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