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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
476
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476 18401850.

Da fiel in die Blumen KriemhildenS Mann.Das Blut aus seiner Wunde mächtig rann. . .

und dann wieder:

Die Blumen auf allen Seiten waren vom Blnte naß.Da rang er mit dem Tode; nicht lange that er das

Jordan unterdrückt die herrlichen Abschiedsworte des Heldenund ersetzt die beiden Stellen, die das allmähliche Blutigwerdcu derBlumen so anschaulich schildern, dnrch folgende gräßliche Verse:

Und am mnrmelndcn Wasser das weiße MaßliebStand nun geschminkt mit blutiger Schminke!

Nicht einmal die rein äußerliche Formgebung ist tadellos. Auchbei der Erneuerung des Stabreims hat sich Jordan nicht in denGeist der alten Dichtung zu versetzen gewußt; er bleibt recht eigent-lich am Buchstaben haften. Seine Tonmalerei verletzt durch denHauptfehler aller Jordanschen Dichtung: durch die fühlbare Ab-sichtlichkeit, und sein Durchschnittsvers wirkt steif und prosaisch.

Mit all dem glaubt Jordan, wie er imNachgesang" bezeugt,eineWunderleistuug" vollbracht zu haben, zu der nur derdeutscheGlauben" ihm Kraft verliehen habe. Sicherlich ist die begeisterteVaterlandsliebe, die ihn antrieb, auch in dem Werk nicht zu ver-kennen; aber anspruchsloser haben Patrioten wie Willibald Alexis und Gustav Freytag Größeres vollbracht. Denn lebendig istnichts geworden bei dieser mühsamen Elektrisierung von Mumien-weizen. Lebendig wirken nur etwa die Augen blicksbilder sprechenderPersonen, bei denen Jordan mit ängstlicher Sorgsalt die VorschriftendesLaokoon" eingehalten hat; aber selbst hier merkt man dieMühe. Er erzählt es in derEpistel", die seineStrophen undStäbe" einleitet, selbst, wie ängstlich ich muß das Wort wieder-holen er jeden Naturaublick, jede Erscheinung, die er sah, fürsein Epos aufsparte und die schönen goldenen Haare einer Frausorglich für Kriemhildeu im Bad aufhob. So sparsam sind echtePoetennaturen nicht gewesen; Gottfried Keller hätte nicht jedenAnblick zu gelegentlicher Benutzuug in ein sicheres Depot gelegt,Fontane nicht jede merkwürdige Äußerung zum gelegentlichen An-bringen thesauriert. Aber auch hier zeigt sich in Jordan die völligeVerkennung der Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft. Wiedie Goncourts und Zola in den Roman, hat er in das Kunsteposdie Collektaueen, die fettgedruckten Hauptbelege, die Exkurse hinein-getragen, und wie die Goncourts (denn Zola ist ein geborener, nur