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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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184018S0.

(1887). Bei denSebalds" sind wir ganz im achtzehnten Jahr-hundert. Es ist ein Unterrichtsroman von altmodischster Art. Unddabei darf man nicht einmal an die Meister dieser Art denken, anden Geist eines Voltaire, die Grazie eines Fontenelle. Ja deralte Nicolai in seinemSebaldus Nothanker " war gewandter, undmanchmal doch gelang ihm ein Charakterbild oder eine Situation;und immer schreibt er lesbar. Jordan aber gestattet sich Sätze wiediese:Unter dessen Steinschwelle eingeblühte, rostüberkrustete Ringezum Vertäuen der Fahrzeuge verraten, daß einst der Strom denFuß dieses Gemäuers umspülte, und lassen vermuten, daß damalsder nächste Weg nach dem Innern der Stadt noch nicht verwehrtwar".An Bedeutsamkeit für die Gegenwart vielleicht nicht ganzunvergleichbar mit derjenigen der Hauptsätze Luthers für seine Zeitist die Unsterblichkeitslehre meiner Osterpredigt." Zu dem ge-schwollenen Stil dieser Prosa bildet die furchtbare Trivialität derMotti über jedem Kapitel ein ergötzliches Gegenbild:

Arm an Selbstgefühl, VertrauenWerden kluge, reiche Frauen.

Hier wie dort das gleiche Unvermögen, Inhalt und Formin innere Übereinstimmung zu bringen. Den Gipfel erklimmtdieser absolute Mangel an Feinfühligkeit in folgendem groteskenSatz, der eine Schiffskatastrophe malt:Auf den Stufen und inden Ausgängen wanden sich verendend oder Blut sprudelnd etlicheSchwächlinge und mehrere Frauen, denen man das Genick abge-treten oder den Brustkasten eingedrückt."Etliche Schwächlingeund mehrere Frauen" ist das nicht unbezahlbar? Wie der Autorsprechen seine Figuren: geschwollenes Papierdeutsch; ob sie im Sterbenliegen oder etwa, kaum noch des Atmens fähig, in eine Eisspaltegeklemmt sind, das macht keinen Unterschied. Wird einer aufgeregt,so hat Jordan ein Universalmittel, die Stimmung zu charakterisieren:er läßt das Personalpronomen weg, und mitHaben genug gethan"oderkann kaum noch die Augen öffnen" individualisiert er denMoment . . . Besehen Vater und Tochter Ahnenbilder, so knüpftder Vater die dem Leser zu gebende Aufklärung mitAlso" an einWort der Tochter und sagt ihr dann im Zeitungsstil alles, was sieweiß. Und so überall.

Ans der Höhe der Sprachtechnik steht die Charakterzeichnung.Ob Jordan Modelle nimmt oder ob er frei erfindet, nirgendskommt er über die herkömmliche Schablone heraus: das bildungs-