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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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480
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480 18401850.

vom späten Abend dieses Tages zurückgreifen bis zur Stunde vorSonnenuntergang"), vor allem mit schablonenhaften Charakterenmühsam durchfristet. Die phantasielose Handlung wird durch etwasSchicksalsromantik der verwickelten Verwandtschastsverhältnisse, derProphezeiungen, der verhängnisvollen Tage und Gegenständeaufgeputzt.

Wir sind auf die beiden Romane näher eingegangen, teils weilJordans Selbstruhm auch hier nicht ohne Wirkung geblieben ist,teils weil sie uns die Gelegenheit bieten, den deutschen Dilettanten-roman überhaupt zu charakterisieren. Daß Stücke dieser Art Leserund Lober finden, das ist die Ursache des tiefen Standes unsererRoman- und Novellenproduktion. DieBlaustrumpfromane" derimmer noch durch tüchtigen Sinn ausgezeichneten Marlitt (EugenieJohn aus Arnstadt 18251887) und ihrer schlimmeren Nach-folgerinnen stehen technisch nicht niedriger, in der Sprache durchweghöher als die beiden Erzählungen des Mannes, der sich am SchlußderZwei Wiegen" wieder einmal mit denmächtigsten Dichter-genies von reichster Welt- und Lebenskunde" vergleicht. So langedie Kritik solche Ware noch mit ein paar leichten Beanstandungendurchgehen läßt, wird unsere Durchschnittsleistung die Englands ,Italiens oder gar Frankreichs nicht erreichen.

Dilettant bleibt Jordan auch in seinen Lustspielen (dieLiebesleugner" 1855,Tausch enttäuscht" 1856), vou denen aberwenigstens eins,Durchs Ohr " (1870), eine gewisse anmutigeLeichtigkeit besitzt freilich, wie Schiller einmal an Goethe schreibt,es ist mehr die Leichtigkeit des Leeren als des Schönen". Dochist immerhin das Hauptmotiv, jenes Verlieben durch den Klangder Stimme, originell und für den Rhapsoden bezeichnend. UnserUrteil aber, daß Jordan ein echter Küustler oder gar ein großerDichter nicht sei, kann dies hübsche Spiel so wenig aufheben wieein paar gelungenere Partien imDemiurgos" und denNibe-lunge". Wir ehren den festen und geraden Mann, den begeistertenund klar sehenden Patrioten, den überzeugungstreuen Bekenner einermodernen Weltanschauung. Aber wenn er alles in reinlicher Prosagesagt hätte, so hätte die deutsche Poesie wenig verloren, die deutscheLitteratur eher gewonnen.

Wurzelt Jordan völlig in der historisch-politischen Richtung,so steht ein anderer, der Dichter ganz und gar war, ihr nur nochnahe. Theodor Storm ist der Dichter der historischen Erinnerung;