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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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C, F. Meyers Kunst, 50I

Freytag, Riehl, Scheffel. Wohl malt er das Milieu gern ausführ-lich ; aber weder die antiquarische Freude jener Meister noch das Psycho-logische Interesse der Neusten bestimmte ihn dabei; ihn zwang dieLust am Beschauen zu breiter Sachschilderuug. Sein oft gar zusorgfältiges Feileu an Satz und Wort, sein rundes Abschließen miteinem nachtönenden Aceord, seine Stoffwahl sogar das lag alle?von modernen Gewohnheiten weitab. Seine Epik meidet die Gegen-wart, die ihm noch nicht genügend durchgearbeitet, noch nicht aus-reichend künstlerisch verarbeitet scheinen mochte. Er war ein Sammler,der merkwürdige Ereignisse, interessante Momente, prächtige Er-scheinungen in künstlerisch dauernde Form bannte mehr umsich selbst so recht ihres geistigen Besitzes zu erfreuen als um derZuhörer willen. Erzählen war ihm eine Form der Aneignung, desGenusses; jegliche Tendenz lag ihm fern.

Fast ganz dasselbe gilt von seinen Gedichten, die man über denRomanen und Novellen zu oft vergißt. Ganz fehlt es hier freilichnicht an Tendenz: der deutsche Protestant spricht in den Gedichtenauf Luther, auf die päpstlichen Schweizer sein Bekenntnis, nnd anchBalladen wie dieSpanischen Brüder",die Füße im Feuer",Miltons Rache",der Daxelhofen" verleugnen ihn nicht. Abernicht hier liegt die Hauptbedeutung der Sammlung, sondern in denGedichten, die seinen Novellen innig verwandt sind. Zwei Gruppenheben sich da heraus: symbolische Selbstbekenntnisse, und Balladeuvon eigentümlicher Haltung. Conrad Ferdinand Meyer war keineBeichternatur; autobiographische Geständnisse abzulegen, wie Gott-fried Keller in seinem unvergleichlichenGrünen Heinrich ", wäre ihmunmöglich gewesen. Aber die Wollust, den eigenen Schmerz dichterischverklärt noch einmal durchzuleben, in edler Form ihn zu verewigen,konnte dieser Virtuos des künstlerischen Genusses sich nicht versagen.Zarte stille Momeutbilder wieEingelegte Ruder",Der Bluts-tropfen" erzählen ein Stück Lebensgeschichte, über das Persönlich-Anekdotische herausgehoben zu symbolischer Bedeutung. Uud eben-so heben Balladen wieDie gezeichnete Stirne" oderDas Augedes Blinden" ein Stückchen Weltgeschichte in die helle Beleuchtungewiger Erscheinungen. König Enzios Kerkergenossin erlebt an sichden verführerischen Zauber, den eiu hoher Märtyrer auf ein edlesFrauenherz ausübt, ein Thema, dasDie Ketzerin" variiert; undder blinde Bettler, der an dem vergifteten Don Juan d'Austria noch immer die zerstörte Jugendschönheit bewundert, malt symbolisch