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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Friedrich Bodenstedt .

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wie jetzt überall im Leben, so auch in der Kunst." Wozu Mörike lesen? Was Jordans Ruhm geinacht hat, schuf auch MirzaSchaffys Beliebtheit: lehrhafter Inhalt in künstlicher Form. DerInhalt befriedigte das prosaische Herz und die Form die herge-brachten Ansprüche au Poesie.

Friedrich Bodenstedt (18191892) aus Peine in Han-nover war freilich weder ein großer Dichter noch ein Mann vontiefem Gefühl oder selbständiger Denkkrast; er war auch nicht,wie etwa Jordan, ein starker Charakter von idealistischer Ge-sinnung. Und dennoch thut man dem Dichter des Mirza Schasst)heut unrecht, weil man ihn das übertriebene Lob der Zeitgenosseneutgelteu läßt. Das wäre doch nur gerecht, wenn Bodenstedt mitbewußter Absicht um den Beifall seiner an Kunstverständnis soarmen Zeit gebuhlt hätte, wie Gutzkow oder Halm es gethan habe».Er war aber eine ganz naive Seele, die säst zufällig den Geschmack derZeit mit einem Werk traf, etwa wie (in noch kleinerem Maßstabe)Nikolaus Becker , und der sich redlich, wenn anch ganz vergeblich, be-müht hat, den Erfolg seiner orientalisierenden Lehrhastigkeit durch zahl-reiche Tragödien und Schauspiele, Gedichte uud Epen, Romane undErzählungen zu überbieten. Aber er tras ebeu nur einmal durchglücklichen Zufall den Punkt, wo seine Begabung und der Geschmackseiner Zeit zusammenstießen hier aber allerdings so, daß dieetwa 150 Auflagen derLieder des Mirza Schafft)" zu einer derbezeichnendsten Thatsachen der neuereu deutschen Litteraturgeschichtewurden.

Bodeustedt hat das Wichtigste aus seiuem Leben selbst in denErinnerungen aus meiuem Leben" (1888) erzählt. Wie Freiligrath,Fontane nnd viele ihrer Genossen war er uicht für den litterarischenBeruf bestimmt worden und hat erst als Lehrling in einem Handels-hause dienen müssen; mühsam hat er sich dann mit dem unermüd-lichen Fleiß, der zeitlebens sein bestes Erbteil blieb, autodidaktisch sürden Besnch der Universitäten Göttingen, München nnd Berlin vor-bereitet. Eine ungewöhnliche Leichtigkeit im Erlernen sremderSprachen und in völliger Anpassung an ihre Art schien diesentypischen Sohn einer an Übersetzer-Dichtern überreichen Zeit fürjenen Kosmopolitismns vorauszubestimmen, der ihm in der Thateigen blieb. Er ging nach Rußland , wo er (Anfang 1311) imHause des Fürsten Gallizin Erzieher ward und seine Studien eifrigfortsetzte. Die Idee, den merkwürdigen Kosmos des jüngsten Welt-