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1840-18S0.
reiches zu beschreiben, ging ihm auf, als er (1844) von Moskannach Tislis gegangen war, um dort als Lehrer und Schulleiter zuwirken: das Werk über „die Völker des Kaukasus und ihre Frei-heitskämpfe gegen die Russen" (1848) war nur eine Abschlags-zahlung auf den großen Plan. Nach der Heimkehr, die ihn durchKleinasien, die Türkei, Griechenland geführt hatte, veröffentlichte er(1850) sein bestes Bnch: „Tausend und ein Tag im Orient". Es istkeine uninteressante Anhäusung von Erinnerungen, wie seine späterenautobiographischen Schriften es überwiegend sind, aber freilich anchnicht eine packende historisch-geographische Schilderung, wie Fall-merayer (mit dem er sich später anfreundete) in seinen „Fragmen-ten" sie eben erst zum Teil von denselben Landschaften gegeben hatte.Es ist ein ethnographisch-historischer Reiseroman, der von denLandschaftsromanen der Sealsfield und Gerstäcker zu den Geschichts-romanen Scheffels und seiner Nachfolger überleitet; wie das Buchdenn auch zeitlich gerade in der Mitte zwischen der letzten Ge-samtausgabe Sealsfields (1845—1846) und dem „Ekkehard" (1857)steht. Boden stedt beschreibt treu und oft mit ermüdender Genauig-keit, was er erlebt, geseheu, erfahren hat, schiebt historische Exkurse,Legenden, Übersetzungsproben ein und stattet die fortlaufendeErzählung — wie Scheffel — mit gelehrten Anmerkungen aus.Dieser wissenschaftliche Reisebericht wird aber dem Roman genähertnicht nur durch des Autors fast ausschließliches Interesse für dieäußeren Schicksale von Land und Leuten — naturwissenschaftlicheoder ökonomische Probleme werden kaum gestreift — sondern vorallem auch durch die Figur des Mirza Schaffy. Einem persischenSprachlehrer, der ihm in Tiflis wirklich einmal ein Lied —„Mollah, rein ist der Wein" — vorsang, hat Bodenstedt alle dieLieder in den Mund gelegt, die er selbst während jenes jahrelangenVerkehrs mit Mahomedanern und von ihnen beeinflußten Christengedichtet hatte. Nun war aber seine Natur von der Art, daßdiese Übertragung durchaus nichts Gewaltsames hatte. Nicht nurals Jüugling hat er (nach seinem eigenen Gestündnisse) unwahre,unnatürliche Gedichte „mit Weltschmerz a la Byron und ironischenPointen Ä 1a Heine" verfaßt -— welcher dichtende Jüngling wäre da-mals (und noch viel später) nicht unter Heines Einfluß geraten! Abernoch aus den Tagebüchern der russischen Zeit trat ihm selbst „sein Bildmit so seltsam veränderten Zügen entgegen, daß er sich kaum darinwiedererkannte. Selbst in der Handschrift der einzelnen Hefte zeigte