„Tausend und ein Tag im Orient". 597
sich eine auffallende Verschiedenheit als deutlicher Ausdruck der ver-schiedenartigen Einflüsse, die ihn beherrschten, während er seine Be-trachtungen niederschrieb." Wie man Solitaire mit seinen wilden,farbenglühend auf das Papier geschleuderten Skizzen dem großen fran-zösischen KoloristenDelacroix(1799—1863) vergleichen könnte, so er-innert Bodenstedt an den belgischen Mauieristen Wicrtz (1806—1865),der überhaupt keine eigene Handschrift besaß, sondern immer denNamenszug des Meisters nachahmte, in dessen Stil er gemalt hatte.Nun kam hier noch eine gewisse innere Verwandtschaft hinzu. DieNiedersachsen haben an sich schon etwas von jener breiten Würdeuud vornehmen Beschanlichkeit, die der Orient so hoch schätzt unddie der süddeutschen Gemütlichkeit so fern liegt wie der preußischenSteifheit — denn Steifheit und Würde sind zweierlei! Daznhatte sich Bodenstedt natürlich noch einen Maskenträger ausgesucht,der ihm bequem war: einen armen Sprachlehrer in der Fremde,beschaulich und unpraktisch und wohl anch eitel wie er. Dahergelang die Mystifikation, die der Dichter anfangs sogar seineinVerleger gegenüber aufrecht erhielt, vollkommen; und die glücklicheIdee gab dem ganzen Buch einen eigenen Reiz. Die Beschaulich-keit des Orients schien in einem ihrer besten Vertreter abgespiegelt;Mirza Schafft) gab mit seinen Versen über Frauen und Dichter,Negierende uud Geistlichkeit, Trinken und Dichten einen sortlaufen-den Kommentar zu den Erlebnissen Bodenstedts nnd blieb dabeidoch selbst eine interessante Figur, durch ihr fremdartiges Kostümanziehender als die typischen Raisonneurs der französischen Romaneund Dramen.
Dies Interesse für den vermeintlichen persischen Dichter trafüberdies mit der großen Aufnahmefähigkeit der Zeit für exotischePoesie zusammen. Bodenstedt hatte schon vorher (1843) Puschkinund Lermontow, die Klassiker des Byronismus in Rußland , dann(1845) klcinrussische Volkslieder übersetzt; später hat er besondersShakespeare (Sonette 1862; anderes mit Herwegh , Dingelstedt undanderen 1866—1872) und „Shakespeares Zeitgenossen" (1858—1860) in sein immer etwas kühles und „gelehrtes" Deutsch über-tragen. Es war in dieser Epoche des poetischen Stoffhungers nichtzu verwundern, daß der Verleger von „Tausend und ein Tag" aufden Einfall kam, von jenen „Liedern des Mirza Schaffy "(1851) eine Sonderausgabe zu veranstalten. Ihr fabelhaftes Glückist bekannt. Für den Dichter ward es freilich zugleich fast ver-