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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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18401850.

einmal das Reimspiel ihm ein gelungenes Verschen eingegeben hat,so hat es ihn oft auch zu den nichtigsten Künsteleien verlockt; undärger noch hat ihm die Verführung des Wortklangs mitgespieltwas zwar zu dem orientalischen Kostüm nicht übel paßt. Unsaber verletzt es, unwahre Wortspiele zu hören wie dies Armuts-zeugnis des Poeten:

Wo sich der Dichter versteigt ins Unendliche,

Lege sein Liederbuch schnell aus der Hand

Alles gemeinem Verstand Unverständliche

Hat seinen Urquell im Unverstand.

So wenig Wie diese Apotheose desgemeinen Verstandes" wirduns die Platte Verteidigung aller Spötterei gefallen:Der Spötter Witz kann nichts verächtlich machen,Was selber nicht verächtlich ist.

Auch wo es sich nicht nm Lehrweisheit handelt, sondern umelegant gedrechselte Liebesgedichtchen, wird es uns leicht des Kunst-gewerbes zu viel, wenn ein Chiasmus den anderen hetzt, und wennans der einen Seite steht:

Mir ward die Wirklichkeit znm Traum,

Mir ward der Traum zur Wirklichkeit!und gleich auf der nächsten wieder:

Den Augenblick der Seligkeit,

Die Seligkeit des Augenblicks!

Um die Reimtechnik hat sich Bodenstedt Verdienste erworben;ein paar hübsche kleine Genrebilder (Sie hielt mich auf der Straßean") sind ihm auch gelungen. Aber im ganzen richtet er sich dochselbst, wenn er das Urteil des Königs Max über einen anderenAutor citiert:

Die Dichtung verrät in jeder Berszeile, daß der Verfasser ein sehr ge-schulter Mann ist, aber kein Poet, obgleich er die Sprache mit großer Ge-wandtheit handhabt und sein Versbau an Korrektheit kanm etwas zu wünschenübrig läßt. Es sehlt ihm auch nicht an verständigen Gedanken und hüb-schen Bildern, allein es fehlt ihm an jenem geheimnisvollen Etwas, dasden Poeten macht, und für welches ich noch in keinem Lehrbuche derÄsthetik und Poetik den treffenden Ausdruck gefunden habe.

Bodenstedt war weder der Zeit noch der Bedeutung nach derletzte unter den Dichtern dieser merkwürdigen Epoche; aber seinErfolg schloß sie ab. So geht es immer nach revolutionärem An-sturm: es folgt unausbleiblich ein Sieg des Philisteriums.Ver-flogen ist der Spiritus, das Phlegma ist geblieben." Die keckzugreifende Eroberung des Volkstümlichen durch Reuter, Auerbach,