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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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532
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532 1850-1860.

wüßten sie, was wir alles auf der Oberfläche des Wassers, imSpiel der Sonnenstrahlen, im Schnee nnd Stanb sehen, sie würdenuns für Zauberer halten.

Wie dieBergpsalmen", die in ein Paar Gedichten die Ge-schichte eines Einsiedlers geben, sührt auchFrau Aventiure"(1863) von der Erzählung zur Lyrik über. Es ist eine Sammlungvon Liedern, die in dem großen Wartbnrgroman den einzelnenSängern in den Mund gelegt werden sollten. Man kann kaum be-haupten, daß sich Scheffel mit der Individualisierung große Mühegegeben hätte: ein Paar Citate und ein Paar typische Züge genügenihm, um Wolfram und Ofterdingen zu charakterisieren. Vortrefflichist dagegen der Ton der fahrenden Leute getroffen; fühlte dochScheffel selbst sich als ein solcher,ohne Ruhe, ohne Stellung, mitunbefriedigtem Drang ins Weite", dem fahrenden Spielmann Jung-Weruer nah verwandt. Durch ihren düstern Ton heben sich einpaar maskierte Bekenntnisse ab: die politischen Klagelieder desByzantiners Anastasios, der Groll verschmähter Liebe in den Ge-dichten des Magnus aus dem finstern Grunde. Im einzelnen ent-halten die Gedichte viele Schönheiten und sind fast durchweg melo-disch sehr reizvoll (obwohl keineswegs im alten Stil; dieAusreise"Wolsrams z. B. ist in jedem Takt modern, noch mehr der berühmteHeini von Steier"). Aber dieser Scheffelisch-minnesingerischeKompromiß-Stil hat auf die Dauer etwas unerträglich Schwanken-des, fast Unwahres; gerade von hier ist das Unheil unechtesterButzenscheibenpoesie" zumeist ausgegangen.

Unheil hat auchGaudeamus" (1367) angestiftet. Dennochhalten wir diese Sammlung burschikoser Lieder für Scheffels be-deutendste, für seine einzige dauernde That.

Das deutsche Trinklied gehörte seit den Anakreontikern zumunentbehrlichen Bestand jedes Liederbuches; und in die Traditiondes für eine heitere Tafel gedichteten Kneipliedes trat Scheffel schonein, als er nur für denEngeren", für den Heidelberger Freundes-kreis dichtete. Nun hat aber das deutsche Trinklied gerade inseinen Blütezeiten allemal einen leise parodistischen Charakter ge-tragen. Das Volkslied parodiert den Minneton:Der liebste Buhle,den ich han, der ist mit Reifen buuden". Schiller beginnt seinPunschlied" im pompösen Ton des philosophischen Lehrgedichtes:

Vier ElementeInnig gesellt,