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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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546
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546 18501860.

niemand von den Neuen der Zeit nach der Revolution. AuchHieronymus Lorm (geb. 1821) aus Nikolsburg in Mahren be-sitzt sie nicht; aber dafür nennt er sein eigen, was jenem ganzfehlte: seltene Formvollendung. Der kränkliche mährische Judewurde vom furchtbarsten Unglück verfolgt: seit dem fünfzehntenJahre war er taub und beinahe blind, später überdies gelähmt, sodaß er nur durch eine Zeichensprache, durch Taktieren aus einemLederriemen um das Handgelenk, mit der Außenwelt Verkehren kann.Bei dieser grauenhasten Prüfung bewährte der Schwager BertholdAuerbachs glänzender als irgend ein anderer jene Tapferkeit, die dieZeit brauchte, damit mau überhaupt nicht ganz unterging. Eifrig bil-dete er sich fort und hat auch noch gegen Nietzsche Stellung genommen;er ward ein Kritiker von Ruf, er ward ein glücklicher Familien-vater. Die vielseitige Thätigkeit in fast allen Litteraturgattungen,die auch er entwickelte, insbesondere seine philosophischen Schriften(Der Naturgenuß. Eine Philosophie der Jahreszeiten" 1876Der grundlose Optimismus" 1894) würden ihm eine dauerndeBedeutung nicht sichern; Wohl aber verdienen diese seine Gedichte(zuerst 1870; Gesamtausgabe 1886). Weicher, melodischer ist dertiefste Weltschmerz wohl nie ausgedrückt worden als in diesenHymnen der stillen Verzweiflung; und es ist nicht, wie bei so vielenNachahmern Lenaus und Heines , ein traditioneller Weltschmerzes ist Persönlichstes Erlebnis, eigenste Erfahrung, was aus dieserKlage hervortönt:

So lang die Sterne kreisen,Am Himmelszelt,Vernimmt manch Ohr den leisenGesang der Welt:

Dem seligen Nichts entstiegen,Der ewigen Ruh,Um ruhelos zu fliegenWozu? Wozu?"

Die uralte Sage von der Harmonie der Sphären deutet er inein tieftrauriges Fragen der Gestirne um.

Weniger originell, aber kräftiger im Ton ist Ferdinandvon Schmid (13231888), ein Schweizer Großkaufmann, der esin Brasilien zu großem Vermögen brachte, später aber fast ganzseinen litterarischen Liebhabereien lebte. Unter dem NamenDran-mor" gab er Dichtungen (Gesamtausgabe 1873), deren Refrain