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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Hieronymus Lorm . Dranmor.

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auch wieder ist:Das Leben ist nicht wert, gelebt zu werden",neben Lyrischem wilde Balladen und kleine Epen aus den SteppenSüdamerikas . Aber auch bei ihm, wie bei so vielen Epigonen,gehen Form und Inhalt keine rechte Ehe ein.

Sem Talent, sagt ein feiner Kritiker, Saitschik, hat nichts Reales, nochPlastisches an sich . . Was er bietet, sind überaus schöne Gedanken, abernackt, ohne plastische Hülle . . . Als eine vom Grunde aus unzufriedeneNatur vermag Dranmor in der Poesie keinen Prozeß der Selbstbefreiung zuerblicken ... Er ist nicht schöpferisch, denn er hat nicht die nötige Kraft, indas volle Walten der Natur einzugreifen; es mangelt ihm die Lebensfreude,er vermag nicht die Empfindungen von einander scharf zu trennen: eheseine Empfindung Zeit hat, sich voll auszuleben, dringt er schon dahinein,mit seinem Denken nivellierend und verallgemeinernd.

Ich citiere diese treffenden Bemerkungen hauptsächlich deshalbausführlich, weil sie so viel für die in unserem Jahrzehnt neu her-vortretenden Dichter Typisches enthalten. Fast wörtlich paßt dasalles auf Robert Hamerling, vielfach auch auf WilhelmRaabe .

Vier Autoren stellen den Kampf zwischen Pessimismus undLebensfreude dar, den wir bisher durch einseitige Kämpen der einenoder der andern Tendenz vertreten fanden. Auch in dem gleich-altrigen Spielhagen, auch in dem jüngeren Grisebach sind beideRichtungen der Zeit im Kamps, aber doch nicht so, daß geradedieser Konflikt für ihre Dichtung der eigentliche Lebensquell wurde.Das aber ist er für Robert Hamerling, für Heinrich Leuthold , fürRudolf Lindau, für Wilhelm Raabe . Die alte Freude an Weltund Leben, an Fortschritt und Entwickelung und die neue Lehrevon Entsagung, Bescheiden, Weltflucht sie kreuzeu sich in ihrerBrust. Es sind typische Übergangsfiguren, nicht mehr, wie diebisher Besprochenen, Epigonen.

Zwar Robert Hamerling (18301889), zweifellos derBedeutendste unter ihnen, hat noch genug und zu viel vom Epigonen.Das Mißverhältnis zwischen Wollen und Können, das diese zucharakterisieren Pflegt, sobald sie nicht allzu bescheiden ein uaheskleines Ziel aufstecken, tritt bei ihm greller hervor als bei einemandern. Daher auch die erstaunliche Spielweite der über ihn ge-stillten Urteile. Bei Scheffel beruhte eine ähnliche Erscheinung aufGefühlsmomenten: er war weiten Kreisen ebenso antipathisch, wieanderen sympathisch. Bei Hamerling aber liegt die Ursache in derArt seiner Produktion selbst. Er war ein Mann von hohem und

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