Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
552
Einzelbild herunterladen
 
  

S52

18S01860,

Thema aller seiner Gedanken. Der mit melancholischer Skepsisbetrachteten Gegenwart wird eine Fata Morgana idealer Zeitengegenübergestellt. Dergöttliche Drang nach Lebensschöne" sollder Vergangenheit angehören, der Gegenwart nur ein übermütigesSpiel mit den Naturkräften, dem Dampf, dem elektrischen Funken,die hier mit poetischer Kraft mythologisiert werden. Steif undungelenk, aber herzlicher als je später ruft er das Vaterland anund mahnt es, der Ideale nicht zn vergessen; nnd trauernd nimmter Abschied von demBlnmenstrand der Dichtung". Hier hat daspersönliche Pathos das Lehrhafte iu poetische Empfindung aufgelösthier hat eine große Zeitstimmuug beredten Ausdruck gefunden. DieForm freilich hat hier noch oft genug verraten, daß Hamerlinggeschwankt hatte: er begann in Kanzonenform, griff dann zumHexameter, endlich zur Nibelungenftrophe worin sein BewundererRichard v. Muth merkwürdigerweise nicht einen mangelnden Einklangvon innerer und äußerer Form, sondern im Gegenteil die VirtuositätdesRhythmenprasscrs" sieht. Trotzdem steht auch sormell dasGedicht über den kühleren, glatteren Produkten, die für alle Stim-mungen fast den gleichen Ton haben.

Hamerlings Ruhm schufen ihm die beiden Epen in Versen.Ahasverus in Rom" (1866) erwuchs aus einem alten Plan,der in dramatischer Form den Sündenfall des von Lucifer zurReflexion verführten seligen Urmenschen und seine Erlösung durchden Gedanken vorführen sollte. Für Hamerling ist es nur zu be-zeichnend, daß er Sündenfall und Reflexion gleichsetzt! Später gingdann dieser Plan größtenteils in dieVenus im Exil" über, und eineepische Ahasverus-Trilogie sollte ihn beerben. In gewissem SinnebildenAhasver ",Der König von Sion" undDanton und Robes-pierre" auch jetzt noch eine Ahasverus-Trilogie, obwohl die Zusammen-gehörigkeit der drei Stücke schon durch die dramatische Form des letztenaufgehoben wird. Hamerling hat nämlich, was er für einen Meister-streich ansah, Ahasver nicht nur zum symbolischen Vertreter der Mensch-heit gemacht das thaten eigentlich alle Dichter desEwigenJuden ", sondern ihn zugleich mit Kam identifiziert. Der EwigeJude kann also bei ihm die ganze Geschichte der Menschheit durchlebenvom Paradies bis zur Leitung der großen politischen Bewegung,die den Beginn der Neuzeit bedeutet. Aber diese Idee war eineverfehlte. Daß die großen Typcu der Dichtung in bestimmtenhistorischen Momenten wnrzeln, ist ein unschätzbarer Vorteil, den