Hamerlings Eigenart. 551
sofort verdirbt er sich den Effekt selbst, indem er allzu eifrig wiederdas philosophische Lineal hervorstreckt. Die abschreckende Äußerlich-keit der Hnmerlingischen Bücher, der fortwährende Sperrdruck (gegenEnde des „Ahasver " wird, vollends greulich, gar einmal Fettdruckangewandt!) sind nur das äußere Symbol der Art, wie seineFurcht, man könne ihn nicht verstehen oder falsch verstehen, unauf-hörlich den Eindruck der Darstellungen zerreißt.
Diese Furcht ist nun aber selbst nur die Stimme eines ästhe-tischen bösen Gewissens. Er fühlt es selbst, daß die Gestalten nichtdeutlich „herauskommen", und hilft deshalb mit diesen brutalenHilfsmitteln de.r Typographie nach — genau so, wie es gleichzeitigaus derselben Ursache die Brüder Gonconrt (1822 — 1896 und1830—1870) thaten. Auf feine großen Dichtungen zumal kannman das Bild anwenden, das er selbst der Kultur seiner Zeitvorhält:
Indes zu stolzem ZielDas Fahrzeug strebt, und kecklich sich türint zur Wolkenhöh' —Versandet unterm Kiele dem Riesenschiff die See!
Nirgends ist Hamerlings Phantasie stark genug, um den gedank-lichen Vorrat, nirgends sein Geist stark genug, um die Realienflott zu machen; alle Augenblicke muß der Fauststoß eines unter-streichenden Hinweises dem Schiff von der Sandbank zu weiteremGleiten verhelfen.
In dieser Eigenart seiner Organisation liegt es begründet,daß seine kleineren Dichtungen am höchsten zu stellen sind („EinSangesgruß vom Strande der Adria" 1857, „Venus im Exil"1858, „Ein Schwanenlied der Romantik" 1862, „Germanenzug"1864 — letztere drei gesammelt 1870). Seine Lyrik („Sinnenund Minnen" 1860, „Letzte Grüße aus Stistiugshaus" 1894)entbehrt zu sehr des „specifischen Gewichts". Hamerling selbst glaubtein den hymnenartigen Stücken in reimlosen freien Rhythmen „etwasEigentümliches und in ihrer Art Fertiges" geboten zu haben. Aberwenn Hamerliug auch uicht selbst als einen seiner Hauptlehrer nebenNovalis Hölderlin nennen würde, wir müßten doch hier ein Echozumal des letzteren vernehmen, wie in anderen Gedichten sich Heines Einfluß zeigt. Aber allerdings gehört der „Vollmond " zu denwenigen im höchsten Sinne „fertigen", rein und fest abgeschlossenenDichtungen Hamerlings. Bezeichnender aber ist das „Schwanen-lied der Romantik" (1862). Hier traf Hamerling das centrale