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1850—1860.
und nur die ganz Großen, wie Keller und Mommsen, werden ihmgerecht. Alfred Meißner aber äußerte zu einem jungen Schriftsteller:„Sie sind eben ein Fanatiker des Klassizismus. Ich aber sage Ihnen,lieber Freund, Goethe ist über die Maßen langweilig." Die Generationder Herman Grimm , Hillebrand, Heysc, Spielhagen hatte diesem Bei-seiteschieben des Größten erst wieder den rechten Goethekultns gegen-überzustellen, der sich dann freilich hin und wieder zu einem „Goethe-pfaffentum" auswuchs. Aber für eine kleinliche Eitelkeit wie dieJordans oder Hamerlings wäre Goethes Nähe vernichtend gewesen.Sie drängten sich von ihm fort, wie sie sich vor dem Ernst derWirklichkeit flüchteten: das war ihnen alles zu groß. Dafür er-sannen sie sich ungeheure Nahmen und riesige Leinwandflächen, aufdie sie doch nur kleinliche Einzelheiten pinseln konnten. Die Kritikder Zeit sah die Niesenflächen und schrie, Hamerling sei ein neuerHomer (was er nur mit bescheidenem Erröten abwehrte); aberernstere Richter, wie Kürnberger , sahen näher zu und meinten,was jener Beschauer des Ammauatischen Neptun auf dem Floren-tiner Hauptplatz meinte: „Kolossal ist noch lange nicht groß."
Hamerling litt tiefer als einer seiner Zeitgenossen an dem,was wir als das Grundübel der nach 1850 hervortretenden Autoreubezeichneten: an der Unfähigkeit, intensiv zu erleben. Sein Drangnach den Freuden des Lebens blieb platonisch; und sein Drangnach dem Hohen und Reinen blieb doktrinär. Wohl hat das Kindvor Freuden geweint, als es an einem Frühlingsmorgen eine Wieseganz mit goldgelben Butterblumen bedeckt fand; aber später hausteder Maler der bunten Prunkgemächer des „Ahasver " und des „Königsvon Sion" in kahlen Wänden, während dem viel bedürftigerenLenthold ein schönes Bild über seinem Bett unentbehrlich war.Man empfindet bei diesem Gegensatz fast eine Art Unwahrheit inHamerlings Schönheitskultus, und doch träfe das Wort nicht zu;eher ist an den Prinzen in Goethes „Triumph der Empfindsamkeit "zu erinnern, dem das phantastische Spiel mit einer Puppe die Ein-bildnngskraft besser befriedigt als der Anblick lebendiger Schönheit.
Ein schöner Einzelbesitz seiner Phantasie — das war es, wasihn am meisten beglückte. Den wiederzugeben, besaß er auch wirk-lich ein starkes Talent. Eine Stimmung, in die er sich mehr hin-einträumt — oft vor den Augen des Lesers —, als daß sie ihneigentlich besäße; das Kostüm der Agrippina; die ThroninsignienJans van Leyden — das schildert er in erlesener Form. Aber