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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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607
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Paul Heyse . 607

gekommen; von all den philologischen Poeten DeutschlandsUhland, Rückert, Hoffmann von Fallersleben , Wackernagel, Simrockgehören dazu blieb er allein von der Trockenheit und Pedanterieganz frei, die die gefährliche Nachbarschaft des Sprachstudiums derDichtung so leicht bringt. Von seinem Vater her erbte er Be-ziehungen zu der gesamten Bildungsaristokratie Berlins , den Hum-boldts, den Mendelssohns , den Böckh und Steinthat. Ihn reiztedie Philologie, aber nicht die deutsche, sondern die der klangschönerenromanischen Sprachen; von der klassischen Philologie und derKunstgeschichte glitt er zur romanischen Sprachwissenschaft über,die nicht nur in seinen glänzenden Übersetzungen spanischer und be-sonders italienischer Dichter, sondern auch in denTroubadour-Novellen" (1882) ihre Spur hinterließ. In Bonn findet er diebesten Lehrer, Friedrich Diez , den Begründer seiner Disziplin,Jakob Bernays , den scharfen Denker und umfassenden Gelehrten,der auch ein Meister der Form war; Züge von ihm sind in dieKinder der Welt" übergegangen. Vom Studium her gewinnt ersich Freunde fürs Leben, wie den Philologen Ribbeck, den fein-sinnigen Geschichtsschreiber der römischen Litteratur. Er kehrt nachBerlin zurück, uud alle Häuser stehen dem bildschönen jungen Doktoroffen. Aus dem glücklichsten Familienleben daheim tritt er in dasnicht minder gesegnete von Franz Kugler , dem Kunsthistoriker,Dichter, hohen Beamten; und als er dessen Tochter heimführt,spielt am Polterabend der erste Maler jener Zeit, der kleine AdolfMenzel , in einem Kinderröckchen mit einem hölzernen Pferdchen aufdem Boden kauernd mit. Gefeiert von allen Seiten wird der jungeEhemann in München (1854) Geibels Liebling, für ganz Deutsch-land neben und niit seinem Freund Berthold Auerbach der persön-liche Mittelpunkt der Litteratur. Man braucht nur die Überschriftenseiner anmutigen poetischen Episteln zu lesen, um ein stattlichesOrdenskapitel der zeitgenössischen deutschen Poesie zusammenzu-bringen. Wie mußten Lessing, Herder und selbst Goethe, wieWaiblinger, Viktor Hehn und Jüngere sich die Reise in die hespe-rischen Gefilde mühsam erringen! Für ihn gehörten diese beglückendenReiseil zu den seligen Selbstverständlichkeiten, an denen sein Lebenso überreich war, und die schönenStädtebilder" oder die andernGedichte desItalienischen Skizzenbuchs" sind leicht und mühelosgepflückt wie die Trauben, die in den dichten Weingängen etwa umLugano uns verführerisch in die ausgestreckte Hand hängen. An