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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1860-1870.

in einflußreicher Stellung am Hof des Königs Wilhelm thätig,strebte in dem Rhythmus seiner von einem prachtvollen Organwürdevoll vorgetragenen Predigten nach dem Ruhm eines deutschenBossuet; Friedrich Ahlfeld (18101884) schloß sich enger an dieTradition der deutschen Kanzelrede an, die Emil Frommel (18281896) aus Karlsruhe mehr nach der Seite gemütvollerStimmung, der gewaltigste von ihnen aber, Oskar Pank (geb.1838), durch poetische Erhöhung weiterzubilden suchte.

Forensische Beredsamkeit gedieh auch jetzt noch nicht inDeutschland; die akademische aber fand in Heinrich v. Treitschke einen Reformator, der von dem kühlen Ton der Belehrung zu demleidenschaftlich erhitzten der Überzeugung vordrang für dasKatheder nicht ohne Schaden, zumal bei geringeren Nachfolgern,für die so dringend nötige Eroberung der Jugend für die vater-ländischen politischen Ideale eine unschätzbare That. Und Männerwie Haeckel, wie Dühring, wie Scherer brachten kanm minder leb-haft das Feuer ihrer innersten Herzensmeinung zu flammendem Aus-druck und halfen die Kluft zwischen dem aristokratischen Lehrstandnnd der wißbegierigen Menge verringern.

Aber freilich die aufblühende Kunst der Rede war dieeinzige fast, die sich wirklich erneute und sichtbar entwickelte. Diebildende Kunst steht immer noch unter der Herrschaft Kaulbachsund des gleich unkünstlerisch, aber viel geistloser unwahre Effektbilderarrangierenden Piloty; erst gegen Ende dieser Periode taucht mitMakarts (in WilbrandtsJfinger" geschilderten)Amoretten"(1868) ein neuer Stern auf: ein echtes wenn auch einseitiges Talent,dem freilich die groben Effekte einer wilden Farbensinnlichkeit vielmehr als die gesteigerten Bedürfnisse seiner nach dem Rausch poly-phoner Farben dürstenden Seele Ruhm und Gold verschafften. Dieernstere größere Kunst Anselm Feuerbachs scheiterte auf dem Bodendesselben Wien, das Makart zum Mittelpunkt eines bacchantischenKuusttaumels, zum Gegenstand eines blinden Enthusiasmus machte.Die Skulptur ward kaum noch beachtet. Das Musikinteresse er-schöpfte sich in theoretischen Kämpfen um die Zukunftsmusik. Daßdie Baukunst mehr sein könne als eine möglichst sparsam arbeitendeTechnik zur Befriedigung der unmittelbarsten Bedürfnisse zudenen kaum Behaglichkeit und Bequemlichkeit zählten fiel nie-mandem mehr ein. Die Tradition des Kunftgewerbes war im Aus-sterben. Die weibliche Kleidung brachte immer noch mit Chignon