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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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638 1860-1870.

kenntnisse nicht mehr erfolgreich bekämpfen. Positive Bekenntnissevon gleicher Werbekraft waren erforderlich. Sie kamen. Man hattedas Kämpfen zu sehr verlernt. Kriegerische Naturen lehrten dieermüdete Zeit wieder im Kampf um ideale Güter, vor allem auchum nationale Interessen eine lang entbehrte Lebensfreude, eine langvermißte Berechtigung der Existenz finden.

Eugen Dühring (geb. 12. Januar 1333 in Berlin ) istjedenfalls die originellste Gestalt unter ihnen, wenn auch eben nichtdie liebenswürdigste. Er wurzelt selbst durchaus im Materialismus,ja er erklärt den richtig verstandenen Materialismus für die alleinberechtigte Weltauffassung; aber dieser soll ihm dennoch nurFuß-punkt höherer humanitärer Lebensschätzung" sein. Mit aller Ent-schiedenheit betont Dühring den Wert des Lebens, und das Buch,das er so benannt hat (Der Wert des Lebens" 1865; stark ver-ändert in dritter Auflage 1881), nimmt sowohl unter seinen pro-grammatischen Schriften als auch überhaupt unter den populär-philosophischen Büchern der Zeit einen hohen Rang ein. In derInnigkeit, mit der er die Wirklichkeit als solche umfaßt, auch wenu,auch weil sie UnVollkommenheiten besitzt, Leiden bringt, Lasten auf-erlegt, in dieserNaturfrömmigkeit" von ganz neuer, modernerFärbung liegt seine Kraft, liegt die Poesie dieser sonst antipoetischenNatur. Hier haben wir etwas, was mit der WirklichkeitsliebeGeorg Büchners näher verwandt ist als mit dem kalten und wesent-lich negativen Materialismus seines Bruders Ludwig Büchner , dessenNamen Dühring , wie dieder Herren Moleschott und Vogt", anchziemlich höhnisch von der Tafel wischt. Wesentlich aus dieserpositiven Liebe zur Wirklichkeit heraus wendet sich Dühring mitLeidenschaft gegen denjenseitigen Gespensterglauben" mit demWort wie mit der Idee hat er aus Nietzsche gewirkt und gegenalle künstlich großgezogenen Illusionen, die die Freude an derrealen Existenz beeinträchtigen. An dem Pessimismus seiner Zeitwie jeder Zeit hatte, wie Dühring richtig erkannte, die Enttäuschungeiner in idealistischen Trugbildern aufgewachsenen Jugend einengroßen Anteil. Wenn aber die Desillusionslitteratur der Heineund Dingelstedt, der Flaubert und Merimee, der Jacobsen undTolstoi den Illusionen im Grunde des Herzens recht gab undsich satirisch gegen die enttäuschende Welt wandte, lehrte Dühring umgekehrt diese schlimmen Erfahrungen gegen den falschen Idealis-mus verwerten.Man hat das Naturganze zu uebmen, wie es